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Spitzer, Manfred: Rotkäppchen und der Stress. (Ent-)Spannendes aus der Gehirnforschung. Schattauer Verlag, 238 S., Stuttgart 2014.


Auch in diesem Jahr legt der Autor die Sammlung seiner in der Zeitschrift "Nervenheilkunde" publizierten Artikel in kurzweilig zu lesender Sprache vor. Kurzweilig, soweit der Leser nicht bereits zur Generation iPhone & Co. gehört, da deren intensive Nutzung den Erwerb der Fertigkeit des Lesens einschränkt. Jedenfalls scheint es den großen Firmen Apple, Google und Microsoft mit ihren technischen Mitteln - zu früh eingesetzt - zu gelingen, selbst eine Schrift wie die chinesische, die 3000 Jahre und eine Revolution überstand, in ein paar Jahren zu zerstören - eine neue Form von Kulturimperialismus.

Träume im Scanner zu beobachten (genauer: "hypnagoge bzw. hypnopompe Halluzinationen beim Einschlafen") scheint mir denn doch Hybris zu sein. Die Untersuchungen, mit großem methodischen Aufwand vorgenommen, liefern letztlich nur einen weiteren Beleg dafür, dass kortikale Aktivierungsmuster für einfache Wahrnehmungen und Vorstellungen existieren. Das erreicht noch lange nicht die Deutungskunst des Begründers der Psychoanalyse - Sigmund Freud.

Wer es immer noch nicht glaubt, dass Multitasking den Lernerfolg und damit die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, der findet in diesem Band weitere Belege. Bei Studenten, die anscheinend selbstverständlich in Vorlesungen chatten, emails abfragen etc., zeigen sich jedenfalls schlechtere Leistungen als bei denen, die "altmodisch" handschriftliche Notizen anfertigen. Das wundert jetzt nicht wirklich, da schon lange bekannt ist, dass nicht Multitasking, sondern multimodale Beschäftigung mit einer Thematik die Gedächtnisleistung erheblich verbessert.

Zur Verblödung und zum Frust führt auch der Einsatz von 'Wischinstrumenten' im frühen Kindesalter. Hoffentlich gehören Sie, liebe Leserin, lieber Leser nicht zu den Eltern, die darauf stolz sind, dass ihr Kleinkind schon ein iPad bedienen kann. Es erwirbt dann zwar die Wischtechnik, ist jedoch mit feinmotorischen Aufgaben der Hand rettungslos überfordert. Dies führt zu einigem Frust und zu Aggressivität, wie übrigens auch bei Tieren, die man mit solchen Gerätschaften malträtiert, statt sozialen Wesen wirklichen sozialen Kontakt zukommen zu lassen.

"Nicht nur die Auswirkungen, sondern auch der motivationale Hintergrund der Nutzung, erscheint mithin bei Tier und Mensch kaum verschieden. Und das Resultat der Beschäftigung mit moderner Informationstechnik ist Unmut und Frustration, Einsamkeit und Depression - also genau das Gegenteil dessen, was die Werbung verspricht" (175).

Wie meistens.

Und so lässt sich ebenso ein Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum in Kindheit und Jugend und der Entwicklung einer antisozialen Persönlichkeitsstörung nachweisen. Just diesen Nachweis führten Robertson und Mitarbeiter in einer aufwändigen Längsschnittstudie (154ff). Wie schädlich sich Überstimulation auf die Konzentrationsfähigkeit auswirkt, ließ sich in vielfältigen Experimenten ebenso an Mäusen zeigen. Überstimulierung wirkt sich sowohl auf das Neugierverhalten aus als auch auf das Risikoverhalten - ein leichtes Spiel für die Katze.

Interessantes und Verblüffendes erfahren wir sowohl über die Auswirkungen der viel gescholtenen Alterspyramide. Ihr "Bauch" hat eher positive Folgen, etwa hinsichtlich der Gewaltbereitschaft in diesen Gesellschaften. Was wir heute als den "Arabischen Frühling" bezeichnen, hatte der Demograf Richard Cincotta schon 2008 prophezeit (130).

Falls Sie sich wundern, dass es in Flugzeugen keine 13. Sitzreihe gibt; bei Spitzer erfahren Sie etwas darüber, ebenso über die immer noch geltende Weisheit: Übung macht den Meister (die Meisterin).

Verschenken Sie Zeit, und Sie werden Zeit gewinnen (48), womit Sie bereits etwas gegen Stress unternehmen und achtsam etwas für den Erhalt Ihrer Selbstbestimmung und Gesundheit tun können.

Die psychoanalytische Deutung von Rotkäppchen finde ich persönlich interessanter als die hier vorgelegte Stressdeutung. Die Zeichnung von Spitzers Sohn aus Kindertagen, die das Cover ziert, und die damit, wie die mit der Widmung des Buches ausgedrückte Wertschätzung, rechtfertig die Aufnahme des Textes zu Rotkäppchen.

Bernd Kuck
März 2014

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Rotkäppchen und der Stress
Rotkäppchen

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