Siebenhüner, Gerda: Frieda
Fromm-Reichmann. Pionierin
der analytisch orientierten Psychotherapie von Psychosen.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2005, 342 Seiten.
Sehr
zu Unrecht gibt es bisher nur wenig Literatur zu dieser imponierenden
Ärztin und Psychotherapeutin, deren Lebenswerk für
Psychiatrie und Psychotherapie wegweisend wurde. Eine Biographie
schrieb vor fünf Jahren Gail Hornstein, Psychologieprofessorin
aus Massachusetts, USA: To Redeem One Person Is To Redeem The
World, New York, 2000.
Diese
Biographie wurde im Juni 2002 im American Journal of Psychiatry
von Richard D. Chessick besprochen, der Frieda Fromm-Reichmann noch
persönlich begegnet und der von ihrer Sensibilität stark
beeindruckt war. Seine Freude war groß, als er 50 Jahre nach
ihrem Tod endlich eine umfassende Biographie dieser herausragenden
Klinikerin vorfand. Ihr Therapiekonzept zusammen mit dem Sullivans
hätte seine Arbeit mit Schizophreniepatienten bis heute
beeinflußt. Jeder an der Praxis von Psychotherapie
Interessierte müsse sich mit Fromm-Reichmanns Arbeiten vertraut
machen. Sie seien auch für die heutige Zeit noch wertvoll, was
ziemlich ungewöhnlich sei für Publikationen, die ein halbes
Jahrhundert alt sind.
Wenn
er auch die sorgfältige Recherche des Lebens Frieda-
Fromm-Reichmanns ausdrücklich lobt, beklagt er jedoch die
Psychiaterschelte der Autorin Hornstein und plädiert für
eine pluralistische Psychosentherapie, die intelligent angewandte
psychopharmakologiche Techniken mit Psychotherapie verbindet.
Auch
Gerda Siebenhüner, Dozentin und Psychotherapeutin aus Berlin,
ist überzeugt, daß die aktuelle Diskussion um eine
angemessene Psychosentherapie nicht darauf verzichten kann, die
Pionierleistungen Frieda Fromm-Reichmanns auf dem Gebiet der
psychoanalytischen Psychosentherapie zu würdigen. Fünf
Jahre später setzt Siebenhüner allerdings andere Akzente
als die Amerikanerin, deren biographische Detailkenntnisse sie
offenbar schätzt und auch öfters zitiert.
Neben
der Biographie legt Gerda Siebenhüner insbesondere eine Analyse
der Werke Frieda Fromm-Reichmanns und ein Porträt ihrer Mentoren
vor, die ihre Lehren und Behandlungsmethoden wesentlich geprägt
haben. Darin finden sich die Organismustheorie des Neurologen und
Psychiaters Kurt Goldstein, die Psychoanalyse Sigmund Freuds, das
Psychosomatikkonzept Georg Groddecks und die interpersonale Theorie
Harry Stack Sullivans. Darauf aufbauend entwickelte Frieda Fromm –
Reichmann ab 1935 in den USA ihre intensive Psychotherapie,
deren Erfolge großes Aufsehen in der Fachwelt erregten. Über
den Bestseller Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen,
(2000, Original 1964), brachte Joanne Greenberg (Künstlername
Hannah Green) nach ihrer Heilung Frieda Fromm-Reichmanns Form der
Psychosentherapie auch dem Laienpublikum nahe.
Wer
sich mit dem Lebenswerk Frieda Fromm-Reichmanns auseinandersetzt,
sieht sich unweigerlich mit der Aufgabe konfrontiert, die Geschichte
der Psychotherapie von Psychosen Revue passieren zu lassen. Sie nahm
in den letzten hundert Jahren einen wechselhaften und dramatischen
Verlauf und wurde bisher noch von keinem Autor zusammenhängend
aufgezeichnet. Ohne dieses Desiderat einlösen zu wollen,
berichtet Siebenhüner sachlich, erhellend und verständlich
über die geschichtlichen Entwicklungen, die von Fromm-Reichmanns
innovativer Praxis und Theorie der Psychotherapie zur Rezeption ihrer
Gedanken durch ihre Schüler führte. Im nächsten
Schritt beleuchtet die Autorin, wie heute noch sehr unterschiedliche
Therapieformen auf den Vorarbeiten Fromm-Reichmanns aufbauen.
Wer
mehr über die schizophrenogene Mutter - diesen
umstrittenen Begriff Fromm-Reichmanns - und ihre Haltung der
Mütterlichkeit, die sie zu ihren psychotischen Patienten
einnahm, erfahren möchte und wie man in Fachkreisen heute diese
Konstrukte bewertet, wer sich für den Kampf zwischen
„Biologisten“ und Psychoanalytikern aus den 70er und 80er
Jahren interessiert, der wird in der vorliegenden Biographie einer
anregenden Diskussion folgen können.
In
einer kritischen Würdigung wird nicht nur gefragt, wen Frieda
Fromm-Reichmann mit ihren Vorarbeiten inspiriert hat und welchen
ihrer Erkenntnisse ein bleibender Wert zukommt, sondern auch welche
ihrer Defizite aus heutiger Sicht erkennbar werden. Dazu stellt
Siebenhüner interessante Verbindungen her zwischen den Theorien,
die implizit in den Schriften Fromm-Reichmanns enthalten und
wissenschaftlichen Theorien, die noch heute relevant sind.
Insbesondere erörtert sie in diesem Zusammenhang gut
verständlich die phänomenologische Beschreibung der
Schizophrenie, die kommunikations-theoretischen und
sprachphilosophischen Aspekte schizophrener Kommunikation wie auch
die Persönlichkeitsdefizite schizophrener Menschen.
Dabei
zeigt es sich, daß Frieda Fromm-Reichmann ihren Schwerpunkt in
der Praxis hatte und weniger in der Theorie, ein Aspekt, den das von
Empirie und Effektivität geprägte angelsächsische
Denken zu schätzen wußte. Wenn ihre besonderen Stärken,
wie teilnehmende Beobachtung, interpersonelle Beziehung und
Gewichtung der Therapeutenpersönlichkeit, tatsächlich für
die emotional- geistige Entwicklung des Menschen so zentrale Faktoren
sind, dann gebührt dieser tapferen und vorausblickenden Frau
mehr Achtung, als ihr bisher zuteil wurde.
Siebenhüner
macht deutlich, daß neuere Entwicklungen der Psychosentherapie
eine Synthese von biologischen und psychotherapeutischen Ansätzen
befürworten, gegen die Fromm-Reichmann wohl keine Einwände
vorgebracht hätte.
Leben
und Werk Frieda Fromm-Reichmanns werden in dieser neuen Biographie,
von deren Lektüre neben Psychotherapeuten und Psychiatern auch
interessierte Laien profitieren werden, umfassend gewürdigt.
Dipl.-Psych. Klaus Hölzer
Bad Rappenau,
April 2006
Frieda Fromm-Reichmann.