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Rudolf Gerd: Therapeut werden. Eine psychodynamische Lebensreise. 160 Seiten, Stuttgart 2024: Schattauer


Wenn eine Koryphäe der Psychotherapie und Forschung einen autobiographischen Text vorlegt, dann ist die Neugierde groß. Wie ist jemand Psychotherapeut geworden und was hat seinen Lebensweg beeinflusst, vor allem aber, wie kann ein Leben psychodynamisch verstanden und erhellt werden. Das interessiert nicht nur Kolleginnen1 und Patienten, sondern mensch möchte sagen, es ist umso wertvoller, da in der Psychotherapie die Betrachtung des Verhaltens mehr und mehr dominiert und diese dem Grunde nach psychoanalytische Betrachtung in den Hintergrund zu treten droht. Zwar hat sich Rudolf von der reinen Psychoanalyse abgewandt, ist aber Psychodynamiker geblieben.

Der Herausgeber, der das kleine Buch in der Vorbemerkung für eine Danksagung nutzt, macht deutlich, wie lange in der somatischen Medizin die Bedeutung des Psychischen verleugnet wurde und welchen Anteil Rudolf daran hat, dass sich das änderte. Rudolf hat bei Annemarie Dührssen gelernt und am von ihr geleiteten AOK-Institut mitgewirkt. Dührssen haben wir es zu verdanken, dass die Psychotherapie als Richtlinientherapie in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen wurde. Später wurde er dann wesentlich von Anneliese Heigl-Evers in seiner wissenschaftlichen Laufbahn gefördert. Wohl nahezu allen Psychotherapeutinnen und Studentinnen der Disziplin ist Rudolf aus Vorträgen oder Seminaren bekannt. Besonders seine Arbeiten zur Strukturbezogenen Psychotherapie und seine Mitarbeit an der OPD sind weitreichend geläufig. Wer ihn als Vortragenden erlebt hat, dem ist es ein bleibender Eindruck geblieben, auch wenn Rudolf davon schreibt, dass er lange Zeit tausend Tode vor einem öffentlichen Vortrag gestorben ist. Diese Ängste konnte er offenbar überwinden. Dies ebenso, wie die kindliche Gewohnheit, sich für alle verantwortlich zu fühlen, wie es so häufig bei vaterlos aufgewachsenen Kriegskindern der Fall ist. Er ist viel gereist und darin einer Neugierde gefolgt, die sich ebenfalls in seinen späteren Forschungen zeigte.

Sein Lebenswerk ist beeindruckend. Dessen Schilderung nimmt denn auch den größten Teil des Buches ein. Die Darstellung folgt dem Muster eines Therapieantrages, in dem er in der dritten Person schreibt; nur einmal unterläuft ihm die 1. Person. Diese distanzierte Haltung ist schade, hat doch der 85-jährige Autor keine Rücksichten mehr notwendig. Zu den psychodynamischen Hintergründen muss die Leserin selbst kombinieren, denn hier bleibt es doch eher distanziert. Zwar nimmt er Bezug zu Balints Typologie des Philobatären und Oknophilen und ordnet sich selbst bei den Philobatären ein, die die Weite suchen und auf Unabhängigkeit drängen. Aber von einer Selbstdarstellung eines Tilmann Moser ist dies doch weit entfernt. Rudolf führt eine imaginäre Enkelin ein, die immer mal wieder psychodynamisch kommentiert (was ein stilistisches Mittel bereits in „Dimensionen psychotherapeutischen Handelns“ war). Es bleibt eine gewisse Distanz in der Selbstoffenbarung, auch wenn Wulf Bertram Rudolf als freundlichen und zugewandten Menschen schildert, dessen Bekanntschaft, ja Freundschaft eine große Bereicherung für ihn darstellte. Eine solche Bereicherung ist das Buch allemal und hebt sich erfreulich von den Texten in der „Psychotherapie in Selbstdarstellungen“ (Pongratz 1973, Huber) ab. Und wie so viele Psychotherapeutinnen war auch Rudolf ein unverstandenes Kind, das sich ein Leben lang darum bemühte, im Verstehen anderer sich auch selbst zu verstehen.

1 Ich wähle hier die weibliche Form, weil die in unserer Sprache meist zu kurz kommt. Dies erwähnt auch der Herausgeber der Reihe (Wulf Bertram), zu dessen hauptberuflicher Zeit im Verlag meist nur Männer Fachbücher publizierten.

Bernd Kuck      
August 2024

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