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Riester, Jutta: Die Menschen Dostojewskis. Tiefenpsychologische und anthropologische Aspekte. V&R unipress, Göttingen 2012, 180 S., gebunden.


Der russische Schriftsteller Fjodor M. Dostojewski (1821-1881) empfand sich als lebenslangen Sucher nach dem Menschen: „Der Mensch ist ein Geheimnis. Man muss es enträtseln, und wenn du ein ganzes Leben lang enträtseln wirst, so sage nicht, du hättest die Zeit verloren. Ich gehe diesem Geheimnis nach, weil ich ein Mensch sein will.“ Dieser auch für Psychologen interessante Satz findet sich in dem Buch Die Menschen Dostojewskis. Tiefenpsychologische und anthropologische Aspekte der Berliner Psychotherapeutin Jutta Riester. Sie ist der Überzeugung, dass die intuitive Menschenkenntnis vieler Dichter von Bedeutung für das Verstehen von Menschen ist – in diesem Fall von Patienten. Riester wandelt mit ihrem flüssig zu lesenden Werk auf den Spuren von Sigmund Freud, Alfred Adler und Carl G. Jung, die die Bedeutung der Weltliteratur für die Menschenkenntnis stets betont haben. Am Beispiel von Dostojewski möchte sie dazu beitragen, die Schätze der Literatur für den psychotherapeutischen Dialog lebendig werden zu lassen.

Das Buch, das aus einer Doktorarbeit hervorging, behandelt mehrere Fragen: Was befähigt einen Schriftsteller wie Dostojewski, eine solche Intensität und Tiefe der Seelenschilderung zu erreichen? Woher stammen sein Interesse am Mitmenschen und sein Wissen um den Menschen? Und korrespondieren die Themen der Romanfiguren mit seinen persönlichen Erfahrungen? Zur Beantwortung entfaltet die Autorin ein reiches Material zum Leben Dostojewskis und zum geschichtlichen und literarischen Hintergrund des 19. Jahrhunderts.

Von jenen fünf großen Romanen, die ihn weltberühmt machten, werden von der Autorin drei untersucht: Der Spieler (1867), Der Idiot (1868) und Rodion Raskolnikoff (1866), besser bekannt unter den Titeln Schuld und Sühne oder Verbrechen und Strafe.

Ihre Untersuchung zeigt, dass bei Dostojewski viele Erkenntnisse der späteren Tiefenpsychologie bereits vorhanden waren. Lange vor Freud spricht er vom Unbewussten, lange vor Adler, dem Entdecker von Minderwertigkeitskomplex und seelischer Kompensation, erwähnt er die Polaritäten von unten und oben im Persönlichkeitsgefühl von Menschen. Dostojewski gewann tiefe Einblicke in die Widersprüche der Seele, schildert innere Befindlichkeiten in ihrer Funktion als Abwehrmechanismen oder beschreibt äußere, häufig sado-masochistische Beziehungsgestaltungen. Seine mit wenigen Strichen gezeichneten Typenschilderungen können es oftmals mit dem Extravertierten und Introvertierten von C. G. Jung aufnehmen.

Im Roman Der Spieler finden sich präzise und detailreiche Beschreibungen der Spielsucht, die Dostojewski aus eigener Anschauung kannte. Im Werk Der Idiot richtet Riester ihr Hauptaugenmerk auf Nastasja, eine der beiden weiblichen Protagonistinnen. Mit seinem außerordentlichen Verständnis für die Entstehung von Delinquenz hat Dostojewski einen nicht unerheblichen Beitrag zur modernen Kriminologie geleistet. Im Werk Rodion Raskolnikoff bzw. Schuld und Sühne wird die Persönlichkeit eines Verbrechers in ihrer Zwiespältigkeit der bewussten und unbewussten Anteile dargestellt und mit den Auffassungen Adlers zur Psychologie des Straftäters verglichen.

Dostojewski ist modern mit seinen Fragen nach dem Menschen. Es mache dessen Verlorenheit wie seine Entwicklungsmöglichkeiten aus, dass er kein vorprogrammiertes Wesen sei. Riester zeigt auf, dass die Menschen Dostojewskis häufig unterwegs und unfertig sind, sie suchen Grenzerfahrungen und irren sich immer wieder.

Den Abschluss der Arbeit bildet die Sicht namhafter Psychologen, Psychiater und Schriftsteller auf Dostojewski als Psychologen. Er wurde und wird wertgeschätzt von Friedrich Nietzsche, Alfred Adler und Josef Rattner. Gegen den Ethiker Dostojewski und seine weltanschaulichen Positionen gibt es jedoch Einwände, so beispielsweise bei Freud und Rattner. Letzterer bescheinigt ihm aber, dass er alle Härten seines Daseins annahm und aus seinen schlimmen Erfahrungen zeitüberdauernde Kunstwerke schuf.

Dr. Gerald Mackenthun / Margarete Eisner
Juli 2013

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Riester: Dostojewski

Die Menschen Dostojewskis

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