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Richter, Horst-Eberhard: Wanderer zwischen den Fronten, Köln 2000, , 350 Seiten, Kiepenheuer & Witsch


Es ist schon beeindruckend, was hier in einem Leben geschaffen und versucht wurde. Richter, Jahrgang 23, war noch Kriegsteilnehmer und ist nur durch einen Zufall dem Tod vor Stalingrad entkommen. Diese Erfahrung dürfte wesentlich zu der überzeugenden ablehnenden Haltung gegen Krieg und Kriegsgelüste beigetragen haben.

Wir erfahren einiges sehr Persönliches, lernen Richter nicht nur als Mitbegründer der Psychosomatik, Vertreter der Familientherapie in Deutschland, Mithelfer beim Aufbau der deutschen Sektion "Ärzte gegen den Atomkrieg" und politischen Berater kennen, sondern auch als ehemals unerwünschtes Kind, daß die Anerkennung des Vaters nie recht erringen konnte. Daher vielleicht die früher so ausgeprägte und auch im vorliegenden Text anklingende eigene Hervorhebung der erbrachten Leistungen, die teilweise unangenehm berührende Nähe zu den großen politischen "Vätern" seiner Lebenszeit: Brandt, Schmidt, Gorbatschow, Lafontaine. Aber das steht heute eher zwischen den Zeilen, und schmälert nicht das Engagement dieses Zeitgenossen. Er wandte sich gegen die verkrusteten Strukturen psychoanalytischer Institute; widerstand selbst (nach eigener Auskunft) dem Reiz der Macht, seinen AssistentInnen und MitarbeiterInnen etwa eine bestimmte Schullinie zu oktroyieren; er versuchte sich politisch zu engagieren! Das ist immerhin für die i.d.R. auf Innenschau sich beschränkende analytische Zunft eine Seltenheit.

Manchmal mutet es fast naiv an, wenn der Analytiker glaubt, den Mächtigen, der keinen Leidensdruck haben, sondern andere leiden machen, im Sinne der reflektierenden Selbsterforschung und der Sensibilisierung für sozialpsychologische Überlegungen positiv beeinflussen zu können. Aber den Versuch war es allemal Wert. Und im Falle Brandts trug es sogar Früchte, wenngleich er schließlich den Ränkeschmieden und puren Machtpolitikern aus eigenen Reihen zum Opfer fiel. Diese Passage fand ich besonders interessant, wenngleich einiges aus persönlicher Diskretion ungenannt bleibt.

Merkwürdig schwach ist der Abschnitt, in dem sich Richter in einem Exkurs über die Weisheit des Alters ausläßt und der Frage nachgeht, wieso die weise gewordenen Alten so wenig Gehör finden. Daß die Psychoanalyse hier keinen wesentlichen Beitrag liefern konnte, sieht Richter im Biologismus der Psychoanalyse begründet. Allein E.H. Erikson hatte ein Entwicklungsmodell vorgelegt, in dem der geistigen Dimension des Menschen mehr Raum gegeben wurde. Unser Autor denkt hier nicht weiter, was bei seinen - im Gegensatz zur Freudschen Psychoanalyse - philosophischen Interessen erstaunt. Dabei gibt es inzwischen interessante Ansätze aus der Tiefenpsychologie (J. Rattner: "Entwicklung und Reife", in: miteinander leben lernen, Heft 5/93, Berlin 1993), die Richter merkwürdigerweise nicht zu kennen scheint, obwohl gerade Rattner in seinem Pioniergeist hinsichtlich der Gruppentherapie, Philosophie und seinem Menschbild Richter näher stehen dürfte als die "offizielle Psychoanalyse". Vielleicht bleibt Richter doch an den Vätern und deren Anerkennung haften? Darin liegt zugleich ein Gesichtspunkt, warum die Weisheit der "Alten" so wenig Resonanz findet. In der patriarchalen Struktur ging und geht es den "Alten" immer um Machterhalt (jüngstes Beispiel Helmut Kohl, wiewohl der sicherlich nicht zu den Weisen zu zählen ist). Und wenn die Jungen heute die Alten ausgrenzen, dann eben immer noch in der Angst verhaftet, die Alten könnten wieder die Macht ergreifen wollen (Ödipus-, Laios-Komplex). So wies bereits Alfred Adler (Begründer der "Individualpsychologie") darauf hin, daß es zwar wünschenswert wäre, wenn die Jungen auf die Alten hörten, was aber zur Voraussetzung hätte, daß die Alten ihren Starsinn und Vorherrschaftsanspruch aufgeben. Hier bleibt noch viel zu tun.

Richter hat sich in der Öffentlichkeit einen Namen gemacht und er verwendet diesen Vorteil, um sich auch politisch zu äußern - auch aktuell zum Krieg der Nato gegen Serbien. Dies tut er mit ungebrochenem Engagement, nennt die paranoiden Strukturen, spricht also vom Wahnsinn, der nach wie vor politische Entscheidungen bestimmt (s.a. Barbara Tuchman: Die Torheit der Regierenden). Wenn angesichts dieser mutigen Stellungnahmen es in einer Rezension im "Deutsches Ärzteblatt" (Heft 20, 19.5.2000) heißt: "Gelegentlich liest man sich in einem Kapitel fest, doch ist der Spannungsbogen dahin und das Interesse nur noch gering, bis zum Ende auszuharren.", dann wird wohl darin die immer noch bestehende politische Ignoranz so mancher Ärzte angesprochen. Dachte ich selbst noch vor dem Lesen: "wieder ein Buch von Richter", so kann ich dieses nur warm empfehlen, strahlt es doch in seiner Menschlichkeit und seinem politischen Engagement für eine menschlichere Welt. Eine Autobiographie sollte eben nicht nur in Annekdoten aus der Nabelperspektive bestehen, sondern Auskunft darüber geben, wie sich ein Mensch in die Welt verwoben und inwieweit er an der Vernunft der Epoche teil hat.

Dipl.-Psych. B.Kuck


Eine weitere Besprechung des Buches von Tillmann Moser.

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