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Rauchfleisch Udo (2013/2023): Transgender verstehen Ein Ratgeber für Angehörige, Freund:innen und Kolleg:innen. Erweiterte und aktualisierte Neuausgabe der 4. Auflage 2013. Patmos


Schlugen und schlagen die Wellen hoch, wenn es um eine Veränderung der Schreibweise von Freund/Freundin in Freund:in geht, dann beim Transgender Thema erst recht. Dabei ist die Argumentation oft recht unsachlich, dafür aber umso emotionaler. Bei der Genderschreibweise etwa wird häufig das Argument angeführt, dass diese Schreibweise gegen das Sprachgefühl geht. Nun ist aber das Sprachgefühl eines, das sich im wiederkehrenden Gebrauch von Sprache einstellt. Kinder wachsen mit der vorhandenen Sprechweise auf und entwickeln eben ein Sprachgefühl für den richtigen Ausdruck, so wie mensch üblicherweise spricht. Wandelt sich die Weise des Sprechens in einer Kultur, dann wird die veränderte Sprechweise wiederum an die nachfolgenden Generationen weiter gegeben, wodurch sich auch das Sprachgefühl wandelt.

Bei der Debatte um die Homosexualität ging es mindestens genauso emotional zu. Dabei spielten Ängste besonders der Männer in der patriarchaler Kultur wohl die Hauptrolle (S. 124f). Es sollte Klarheit herrschen, wer Mann und wer Frau ist, womit zugleich die Rollenzuschreibungen zementiert werden sollten. Es gibt nur Schwarz und Weiß - da weiß doch jedermann, woran er ist. Und jedefrau auch. Diese Sichtweise haben wir in den westlichen Kulturen zum Teil überwunden. Zumindest ist Homosexualität keine Krankheit mehr. In anderen Kulturen, die wir dann gerne als starr und dogmatisch wahrnehmen, wird das Patriarchat noch deutlicher mit Klauen behauptet.

Beim Thema Transgender allerdings scheiden sich auch bei uns noch die Geister. Die Pathologisierung im neuen Diagnostischen Manual (ICD 11) nicht mehr enthalten.

»Hier ist in der Kategorie „Probleme/Zustände im Bereich der sexuellen Gesundheit“ die Rede von der „Geschlechtsinkongruenz“, die das Auseinanderklaffen des zugewiesenen und des empfundenen Geschlechts beschreibt. Damit ist der letzte Schritt zur Entpathologisierung von Trans getan« (Seite 9).

Die Debatte um Richtig und Falsch, Schwarz oder Weiß wird nunmehr auf diesem Feld mit emotionalem Sturm geführt. Heftiger geht es wohl nur noch bei der Frage um die Entkriminalisierung der Abtreibung zu, und damit um die wirkliche Selbstbestimmung der Frau. Oder ebenso beim Recht auf Endigung des Lebens, wenn mensch lebenssatt ist und die Beschwerden oder gar Qualen überwiegen. Dass die Liberalisierung der amtlich eingetragenen Geschlechtsorientierung nun dazu führen werde, dass die Menschen jedes Jahr ihr Geschlecht ändern, dürfte eine der bei solchen Themen üblichen Übertreibungen sein, denn der Aufwand ist doch recht groß, alle Papiere dem geänderten Geschlecht anzupassen.

Einiges wird im vorliegenden Text zur Begriffsklärung beigetragen. So sind Transvestiten Menschen, die gerne Kleidung des anderen Geschlechts tragen, sich dabei aber in Übereinstimmung mit ihrem biologischen Geschlecht fühlen. Trans Menschen sind auch keine verkappten Homosexuellen, die sich zu ihrer Homosexualität nicht bekennen, denn sie wählen in ihrer neuen Rolle durchaus nicht nur heterosexuelle Partner:innen. So kann also eine trans Frau (ein Mann, der sich als Frau fühlt) in hetero- wie auch in homosexueller Beziehung leben, was ebenso für den trans Mann gilt. Ferner gibt es nicht die typische trans Frau oder den typischen trans Mann. Transgender sind

»so unterschiedlich wie cis Personen [die „normalen“ Heterosexuellen, BK] auch, und aus der einzigen Gemeinsamkeit, die sie verbindet, nämlich trans zu sein, lässt sich kein einheitlicher Persönlichkeitstyp herleiten« (S. 47).

Darüber hinaus gibt es Menschen, die genau wissen, wie Frauen und Männer fühlen. Das sind diejenigen, die sich als „nichtbinär“ beschreiben, sich also nicht der üblichen Aufteilung in Frau und Mann zuordnen. Und zu guter Letzt ist noch auf die Verschiedenheit von trans Personen hinzuweisen, wobei die einen ihre äußere biologische Erscheinung unverändert belassen, indes andere auch eine hormonelle und/oder plastische Veränderung durchführen lassen.

Fiktive Berichte (eine Zusammenstellung von verschiedenen Beispielen, um die Persönlichkeitsrechte der Menschen zu wahren) von trans Menschen illustrieren die Themen und Probleme, die sich beim Coming-out ergeben. Wie gehen Menschen damit um, wenn sich ihr weiblicher Partner – auch Ehepartner – als trans Mann, oder umgekehrt, outet? Wie teilt mensch dies den eventuell gemeinsamen Kindern mit? Wie geht mensch das Coming-out im Familien-, Freundes- oder Kolleg:innen Kreis an? Was bewirkt die Hormongabe? All diese Fragen werden im vorliegenden Text bearbeitet. Dabei ist besonders relevant, inwiefern Jugendliche oder auch Kinder beurteilen können, was die Folgen einer Geschlechtsangleichung sind. Ab dem sechzehnten Lebensjahr können Jugendliche auch ohne Zustimmung der Eltern entsprechende Schritte einleiten. Hier rät Rauchfleisch etwa zu einem Zwischenschritt, der in der Gabe von pubertätsblockierenden Medikamenten besteht. Hier können trans Menschen gleichsam ausprobieren, wie es sich im empfundenen Geschlecht lebt. Passt es doch nicht, so tritt bei Absetzen der Medikamente die Pubertät z.B. zwei Jahre später ein. Ferner lassen sich die heftigen inneren Konflikte vermeiden, die eintreten, wenn der trans Mensch in die Pubertät kommt, sich der physische Leib sichtbar vom gefühlten entfernt. Depressionen, Ängste und Suizidalität können die Folge sein ( S. 114).

Diskriminierung, gar Gewalt können zu den Erfahrungen der trans Menschen gehören. Ebenso können sie Diskriminierung durch Fachpersonen erfahren, Psychiater und andere im Gesundheitssystem, wie auch Personen, die in Behörden mit der Änderung der Geschlechtszuordnung befasst sind. Es wird dann empfohlen, sich an entsprechende Organisationen zu wenden, die Fachpersonen benennen können, die sich mit dem Problem des trans Seins auskennen. Dies kann natürlich wiederum zu einer Bewegung innerhalb einer Blase führen, wobei auf jeden Fall eine eher neutrale oder doch aufgeschlossene Haltung zum trans Phänomen notwendig ist. Es wird auf jeden Fall empfohlen, vor einer Geschlechtsumwandlung eine ausführliche Beratung zu beginnen:

»ein Jahr psychotherapeutische Vorbereitung (zur Klärung seiner transsexuellen Wünsche sowie seiner persönlichen und beruflichen Situation und seiner Familie), ein Alltagstest (während eines Jahres 24 Stunden am Tag Leben in der angestrebten Rolle) sei nicht unbedingt mehr nötig, aber empfehlenswert, hormonelle Behandlung von ca. eineinhalb Jahren und schließlich operative Angleichung...« (S. 144).

Die Annahme, dass die Transidentität eine Folge der Erziehung ist, wird eher dahingehend relativiert, dass der trans Mensch in Kindheit und Jugend gedrängt wurde, gemäß seines biologischen Geschlechts zu leben und sich zu verhalten. Die Psychodynamik scheint mir hier zu kurz zu kommen. Die Probleme, die sich für Menschen ergeben, die eine Geschlechtsumwandlung inklusive operativer Angleichung durchführen, werden hier nur als Negativbeispiele aus Internetforen erwähnt. Es dürfte aber durchaus so sein, dass bei fehlender tiefenpsychologischer Exploration, eine Motivlage übersehen wird, die sich aus anderen Quellen speist, es sich eben nicht um eine eigenständige Identität handelt. Es wird nicht den perfekten Schluss geben können. Zum vorurteilsfreien oder -kritischen Umgang mit dem Thema Transgender verhilft dieser Ratgeber allemal.

Bernd Kuck      
Mai 2024

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