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Mill, John Stuart/Taylor Mill, Harriet/Taylor, Helen (ca. 1869): Die Hörigkeit der Frau, 2. unveränderte Auflage, Ulrike Helmer Verlag 1997


Psychoanalytiker:innen bekannter ist der Text von John Stuart Mill „Über Frauenemanzipation“, den Sigmund Freud aus dem englischen übersetzte. Der Text entstand noch vor 1851 und wurde Stuart Mill zugeschrieben, indes er von Harriet Taylor Mill stammt, der Ehefrau Stuart Mills. Freuds Übersetzung erschien 1880 und er fand die Argumentation absurd, wenngleich er Mill bescheinigt, einer der Denker des 19. Jahrhunderts zu sein, der sich in seinen philosophischen Schriften von Vorurteilen befreit habe. Aber dessen Befreiung von dem Vorurteil von der „Natur des Weibes“ ging Freud denn doch zu weit. So schreibt er im November 1883 an seine damalige Verlobte Martha Bernays:

»Es ist auch ein gar zu lebensunfähiger Gedanke, die Frauen genau so in den Kampf ums Dasein zu schicken wie die Männer. Soll ich mir mein zartes liebes Mädchen z. B. als Concurrenten denken; das Zusammentreffen würde doch nur damit enden, daß ich ihr, wie vor 17 Monaten sage, daß ich sie lieb habe u. daß ich alles aufbiete, sie aus der Concurrenz in die unbeeinträchtigte stille Thätigkeit meines Hauses zu ziehen. Möglich, daß eine veränderte Erziehung all die zarten, des Schutzes bedürftigen u. so siegreichen Eigenschaften der Frau unterdrücken kann, so daß sie wie die Männer um‘s Brot werben können. Möglich auch daß es nicht beechtigt ist in diesem Fall den Untergang des Reizendsten, was die Welt uns bietet, unseres Ideals vom Weibe zu betrauern; ich glaube, alle reformatorische Thätigkeit der Gesetzgebung u. Erziehung wird an der Thatsache scheitern, daß die Natur lange vor dem Alter in dem man in unserer Gesellschaft Stellung erworben haben kann durch Schönheit, Liebreiz u. Güte zu etwas bestimmt • Gesetzgebung u. Brauch haben den Frauen viel vorenthalten • aber die Stellung der Frauen wird keine andere sein können als sie ist, in jungen Jahren ein angebetetes Liebchen, u. in reiferen ein geliebtes Weib« (Jones, Sigmund Freud, Hans Huber 1962, Bd. 1, S. 212f).

Hier ist Freud ganz Kind seiner Zeit, wie ja auch in seiner Theorie des Weiblichen, die wir heute hoffentlich überwunden haben. Die Frauenbewegung hat da einiges an wirkungsvoller Arbeit geleistet. Wie groß die Angst der Männer vor der Frau war – und ist? - lässt sich an dem Widerstand ermessen, dem Stuart Mill zur Zeit des Erscheinens des vorliegenden Textes „Die Hörigkeit der Frau“ (orig. „The Subjejection of Women“, eigentlich also Abhängigkeit, Unterwerfung, Ausgeliefertsein) ausgesetzt war. Da er den Text zusammen mit seiner Partnerin Harriet verfasst hatte, wollte er sie auch als Mitautorin genannt wissen. Davon riet ihm der Verleger dringend ab, da in diesem Falle die Arbeit weniger Beachtung finden würde. Ebenfalls ignoriert oder diffamiert wurde die Mitautor:innenschaften von Helen Taylor, der Tochter Harriet Taylors aus erster Ehe. Seit 1848, dem Erscheinungsjahr der „Politischen Ökonomie“ betonte Mill immer wieder die gemeinsame Autor:innenschaft mit beiden Frauen. Nach dem Tod seiner Ehefrau stand ihm die Stieftochter aktiv und mitwirkend zur Seite.

»Wer immer, jetzt oder nach meinem Tode, an mich und mein Werk denkt, darf nie vergessen, daß es das Produkt nicht eines Intellekts und Gewissens ist, sondern das von dreien« (S. 170)1.

Mill engagierte sich auch politisch, war drei Perioden im Unterhaus (seit 1865) und engagierte sich gegen Gewalt gegen Frauen. So protestierte er etwa 1854 in einem offenen Brief in der Morning Post gegen die Freilassung bereits nach einer Woche eines Ehemannes, der seine Frau misshandelt hatte und gedroht hatte, ihr die Kehle durchzuschneiden. Noch heute ist das Thema keinesfalls befriedigend gelöst. Femizide und überhaupft Gewalt gegen Frauen sind keine Seltenheit – im 21. Jahrhundert. Mill machte aus seiner Haltung kein Geheimnis und wurde dennoch gewählt. Die Zeit war offenbar günstig für Reformen. Der Vorschlag zur Reform des allgemeinen Wahlrechts, der von Liberalen und Vertretern der Arbeiterschaft eingebracht wurde, ging in seiner Allgemeinheit allerdings nicht so weit, als dass die Frauen darin inbegriffen waren. 1866 konnte Mill eine neuerliche Petition, gemeinsam verfasst mit Helen Taylor, einbringen – allerdings ohne Erfolg. 1868 wurde das Reformgesetz verabschiedet und das Parlament aufgelöst. Ein neuerlicher Einzug Mills wurde dann von den reaktionären Kräften verhindert.

Der vorliegende Text ist daher nicht nur von historischem Interesse, wenngleich Mill und Taylor Mill rein rational gegen die vermeintliche Natur der Frau argumentieren. Im Kern argumentieren sie, dass die geistigen Mängel der Frau nichts mit ihrer Physiologie zu tun haben, sondern einzig damit, dass ihr systematisch von der patriarchalen Gesellschaft der Zugang zu Bildung und Erprobung ihrer geistigen Kräfte verwehrt wird (Bekanntlich veröffentlichte der Psychiater Möbius noch 1900 ein Machwerk unter dem Titel „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“). Der Text wird noch heute zu den wichtigsten feministischen Arbeiten gezählt. Wie groß die Angst der Männer vor den Frauen war – und ist? -, zeigte sich etwa in der Ermordung von Rosa Luxemburg 1919; Mann schlug sie nicht nur nieder, sondern erschoss sie und warf sie dann in den Landwehrkanal in Berlin – tötete sie gleichsam dreimal, um auch ganz sicher zu sein – vielleicht haben ja nicht nur Katzen mehrere Leben. (Empfehlenswert ist übrigens der Film von Margarethe von Trotta, Rosa Luxemburg, 1986; auf Zeitonline schreibt der Rezensent von einem elitären intellektuellen Melodrama und der Autor bezeichnet den Film als düster-feministisch2).

Mill war nicht nur ein radikal demokratischer feministischer Denker, sondern lebte auch so (S.185). Er erfuhr die massive Reaktion seiner Zeitgenossen, so dass er sich schließlich mehr und mehr in die Privatheit zurückzog. Ebenso radikal war er in der Frage der Emanzipation der Sklaven in Amerika, für die sich der alternde Mill mit scharfer Feder einsetzte.

1
Im Nachwort von Hannelore Schröder zitiert. Dazu heißt es in einer Anmerkung: »J. S. Mill , Autobiography, London 1873, S. 236/64. Dies ist die gekürzte und gereinigte Ausgabe. Die ungekürzte Ausgabe nach dem Originalmanuskript erschien erst 1924, hrsg. von John Jacob Coss (•). Aber diese Willensbekundung, geschrieben etwa 1870, drei Jahre vor Mills Tod, war der Öffentlichkeit und zumal den Mill-Forschern und -Herausgebern stets bekannt, wurde also bewußt ignoriert« (Anmerkung 3, S. 204).

2
https://www.zeit.de/1986/16/jenseits-von-rosa?utm_referrer=https%3A%2F%2Fmetager.de%2F

Bernd Kuck      
April 2022

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