Markl, Hubert: Schöner neuer Mensch?
Piper Verlag, München, Zürich (2002), 295 Seiten.
Die
wenigsten
Menschen sind „Wissenschaftler“ in dem Sinne, dass sie eine
Vorstellung von den Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaften haben und dass
sie empirisch-rationale Argumente gelten ließen. Diese vom Strom der Erkenntnis
abgeschnittenen Menschen täuschen sich jedoch in der Bedeutsamkeit der
Wissenschaften für ihr Leben. Jüngstes Beispiel für die Relevanz
wissenschaftlicher Neuerungen für den Alltag ist das im Mai 2002 verabschiedete
Stammzellgesetz, das im Jahr zuvor die Öffentlichkeit stark bewegte. Nicht auf
den Wissenschaftsseiten, sondern meist im Feuilleton wurden grundsätzliche
Fragen nach dem Wesen des Menschen und den künftigen Möglichkeiten der
medizinischen Wissenschaft diskutiert. Es war ein Thema, das im Innersten berührte,
tangierte es doch unsere Vorstellungen von Menschenwürde und
Entscheidungsfreiheit.
Dummerweise
haben nicht nur Normalbürger, sondern auch Feuilletonredakteure wenig Ahnung
von den Bedingungen wissenschaftlichen Fortschritts – möglicherweise eine
Folge naturwissenschaftlicher Ignoranz, die sich derzeit in Form von beschämenden
Ergebnissen in internationalen Schulvergleichstests (PISA) fortsetzt. Denn unabhängig
von medizinischen und biologischen Erkenntnissen und meist weit über diese
hinaus wurden Szenarien an die Wand gemalt und zu Papier gebracht, die jeder
wissenschaftlichen Erkenntnis spotten. Vor allem die Vorstellung, es könnten
– wie das Schaf Dolly – Menschen geklont werden, sorgte für Gänsehaut.
Schon sahen die Feuilletonisten Heere von identisch reproduzierten Zombies
aufmarschieren, denen die im Westen üblichen Menschenrechte vorenthalten
werden. Diese Debatte traf zusammen mit der BSE-Krise, der von Greenpeace geschürten
Panik über Genetik in Nahrungspflanzen, der Bedrohung der globalen Biodiversität
und die an sich noch nichtssagende Entzifferung
der Buchstabenfolge des menschlichen Genoms.
Der
frühere Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der Zoologe Hubert Markl,
hat sich dabei in Vorträgen immer wieder eingemischt und versucht, die
aufgeregten Gemüter zu beruhigen. Zwölf seiner Vorträge sind 2002 in dem Buch
"Schöner neuer Mensch?" abgedruckt. Sein Standpunkt ist der eines
unbestechlichen Wissenschaftlers und freiheitlichen Denkers:
„Denn was könnte Menschlichkeit und Menschenwürde herausragender bestimmen
als das angeborene Menschenrecht und die damit verbundene Pflicht, sich in
sittlichen Grundfragen nach eigenem Gewissen frei zu entscheiden?“
Mit
freundlichem Sarkasmus hält es Markl unter anderem für nötig, die
„Gen-Zwangsneurose“ zu bekämpfen, denn Gene erzwingen tatsächlich sehr
wenig, wenn sie auch alles erst ermöglichen. Das menschliche Genom ist
keineswegs durchprogrammiert, sondern Starthilfe für einen lebenslangen
Entwicklungsprozess, in dem sich jedes Individuum in ständiger
Auseinandersetzung mit seiner Umwelt als einzigartiges Lebewesen entfaltet,
„niemals ganz unbeeinflusst von seinen genetischen Anlagen, aber auch niemals
ganz in ihrer Zwangsherrschaft“ (68). Gänzlich widersinnig erscheint ihm die
Argumentation einiger Behinderten und ihrer Verbände, die dem biologischen
Zufall freien Lauf lassen wollen, auch gegen den Willen der Mutter, als ob
Behinderung ein Privileg wäre. Es gibt sich besonders moralisch dünkende
Menschen, die aus ideologischem Prinzip potenzielle Mitmenschen gern zu
lebenslangem Leiden verurteilen möchten.
Der
Mensch ist auch kein Schaf. Nicht das Klonen von Menschen erscheint Markl als
das Problem, sondern der klonhafte Konformismus der Medienzombies, die ein zu
Recht abstoßendes Bild einer willenlos synchronisierten menschlichen Schafherde
zeichnen. Dazu wird es nicht kommen. Dolly hatte Gelenkbeschwerden und starb
vorfristig. Möglicherweise wird es irgendwo auf der Erde einen überdrehten
Mediziner oder Biologen geben, der an Hunderten von Frauen – so viele sind nötig
– den Versuch einer genetisch identischen Reproduktion eines Zellspenders
versucht, mit voraussichtlich unzähligen genetisch verkorksten und sozial
verpfuschten Menschenopfern. Dieser Klon-Mensch, wenn er denn eine Zeitlang überlebt,
wird eine Sozialisation durchlaufen, die unmöglich jene des Zellspenders sein
kann. Die Wirklichkeit ist von nichtlinearen dynamischen Prozessen beherrscht,
die keine sicheren Vorhersagen erlauben. Es ist deshalb eine unsinnige Illusion
zu meinen, der Klon eines jetzt lebenden Menschen wäre in 20 oder 30 Jahren
„derselbe Mensch“ wie jener, von dem er stammt – von Äußerlichkeiten
einmal abgesehen. Niemand sollte der Einbildung erliegen, er könne per Klon
ewig fortleben, vielmehr ist mit einigen unangenehmen körperlichen Überraschungen
wie erhöhte Krankheitsanfälligkeit und Frühsterblichkeit zu rechnen. Die
prinzipielle Klonbarkeit auch des Menschen wird laut Markl auch in langer
Zukunft das bleiben, was es heute ist: „schauderhafte Gedankenexzesse ohne
wirklich ins Gewicht fallende Verwirklichungschance“ (93).
Mit
meines Erachtens zwingender Logik hält Markl das noch nicht eingenistete
menschliche Embryo nicht für einen Menschen mit allen Menschenrechten,
ebenso wenig wie ein Ei wirklich ein Huhn, eine Partitur ein Konzert, ein
Bauplan ein Haus ist. Das neue Stadium des Menschseins beginnt für ihn frühestens
mit der Einnistung in die Gebärmutter einer Frau, die dazu aus freier
Entscheidung zustimmt. Zudem ist „Mensch“ kein feststehender Begriff der
Natur, sondern eine menschliche, kulturbezogene Zuordnung, deshalb kann und darf
man darüber streiten. Die „Willkür“ dieser Zuschreibung ist ja gerade das
Menschliche daran - der
Mensch ist per definitionem das zu „Willkürhandlungen befähigte und
verpflichtete Lebewesen“, für die er allerdings die verantwortlich abwägende
und urteilende Entscheidung treffen kann und muss. Es hat also keinen Sinn, beim
Embryonenschutzgesetz oder dem Gesetz zur Stammzellforschung abschätzig von
einer „Willkürentscheidung“ zu sprechen. Diese Entscheidungen sind geradezu
Ausdruck menschlicher Gewissensfreiheit und moralischer Verantwortung (49). Die
Menschenwürde liegt laut Markl in der Gewährung der Freiheit der Lebensführung,
nicht im zufälligen Würfelspiel der Genverteilung bei der Zeugung und der
Reifungsteilung der Gameten. Ausgerechnet die Katholische Kirche, die die
Menschwerdung mit der Zeugung, also der Verschmelzung von Ei und Samen, beginnen
sieht, scheut sich nicht, den noch nicht zu eigener Willensentscheidung fähigen
Säugling taufen zu lassen, um bei der Erringung des Seelenheils ja nichts dem
Zufall zu überlassen.
Wer
Kinder nach seinen Wünschen heranziehen möchte, kann dies mit Sicherheit heute
wie künftig mit mehr Aussicht auf Erfolg durch Erziehung als durch genetische
Optimierung erreichen (138). Die Greenpeace-Parole „Kein Patent auf Leben!“
geht deshalb völlig an der Realität vorbei, als ob eine Nukleotidsequenz
„ein Mensch“ oder gar „das Leben“ wäre. Den Menschen oder das Leben
einzig aus dem genetischen Material abzuleiten ist kruder Biologismus, weil die
Macht der Erziehung und der Zwang der Kultur ausgeblendet werden. Die
Unmachbarkeit des Klones wird ergänzt durch die Unerwünschbarkeit, der sich
bislang kein Staat und keine Regierung verweigert hat. Und nicht dem Klon wird
man die Menschenwürde absprechen, genauso wenig wie wir dies bei eineiigen
Zwillingen tun. Vielmehr wird der egozentrische Narziß, der sich in einer Art
genetischer Onanie ein Ebenbild wünscht, als sozial verwerflich gebranntmarkt
werden.
Ebenso
interessant sind die Antworten des Biowissenschaftlers auf die bekannten drei
Fragen
des
Philosophen Kant: Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir
hoffen?
Zunächst formuliert er sie um: Was wollen wir überhaupt wissen? Was sollten
wir unterlassen? Was müssen wir befürchten? Und fügt zwei weitere Fragen
hinzu: Was darf das Ganze denn kosten? Und wer soll das bezahlen? (177f) Auf die
dritte Kant-Frage gibt Markl die Antwort: „Nüchterne Urteilskraft,
Standfestigkeit gegen verlockende oder erschreckende Übertreibungen und mutige
Bereitschaft, auch zur Gewinnung der Zukunft lieber etwas zu wagen als voreilig
verzagend aufzugeben“. Wissenschaft sollte Wahrheit und Klarheit suchen und
sich von bloßer Meinung und bloßem Glauben unterscheiden. Sie ist nicht dazu
da zu bestätigen, was in alten Büchern steht. Wer aus Angst vor schlechten
Erfahrungen auf Erfahrungen verzichtet, zahlt dafür den Preis der Hilflosigkeit
aus Unerfahrenheit (191).
Ein
schauriges Kapitel der jüngeren deutschen Wissenschaftsgeschichte ist der
Irrweg von Evolutionsbiologie und Genetik zu Rassismus und Mord. Auch mit diesem
Problem setzt sich der Autor auseinander. Im Mittelpunkt steht hier ein
Symposion, welches die Max-Planck-Gesellschaft zu dem Thema „Biowissenschaften
und Menschenversuche an Kaiser-Wilhelm-Instituten – Die Verbindung zu
Auschwitz“ durchgeführt hat. „Die ehrlichste Art der Entschuldigung ist das
Offenlegen der Schuld“.
Zu
den Schreckenstechnologien gehören die Spekulationen über die Möglichkeiten
zur
Verschmelzung
von Mensch und Maschine (Biochips im menschlichen Gehirn, Mensch-Maschine-Zwitter,
Reparaturgene im Gehirn, Xeno-Transplantate usw.). Die rapiden Fortschritte
und Verschmelzungsprozesse zwischen Computertechnik, Nanotechnologie, Robotik
und Gentechnik machen uns auf die Frage aufmerksam, ob sie synchron mit
entsprechenden Verantwortungszuwächsen laufen? Besteht vielleicht doch die
Gefahr, dass der menschliche Zauberlehrling die Herrschaft über die dienstbaren
Geister verliert, die er gerufen hat? Immer neue Wagnisse und Risiken verbinden
sich mit neuen Hoffnungen und Zukunftsaussichten. Die Ansprüche an die
sittlich-ethische Urteilskraft des Menschen nehmen laufend zu, die moralische
und wissenschaftlichen Debatten halten da durchaus mit. Markl kommt zu dem Schluß:
„... der angeblich schöne neue Mensch könnte sich durchaus als der alte
herausstellen, der freilich den wirklich schönen neuen in jeder Generation
erneut in seinen Kindern heranwachsen sehen kann. Insofern brauchen wir dann
auch nicht auf ihn zu hoffen oder zu warten, lebt er doch – beiderlei
Geschlechts – schon lange mitten unter uns“.
Markl
diskutiert in dem Buch die wichtigsten aktuellen Aspekte der
Lebenswissenschaften vor einem beeindruckenden Wissenshorizont. Ob dies Buch für
jedermann verständlich ist, wage ich zu bezweifeln. Die schulische Möglichkeit,
Biologie und Physik frühzeitig abzuwählen, hat im Wissensschatz der Bevölkerung
enorme Lücken gerissen. Markls Bandwurmsätze – einige gehen über eine halbe
Druckseite – tragen keineswegs zur besseren Verständlichkeit bei. Wie auch
immer: Ein notwendiger, beglückender, erstaunlicher, erhellender, lesenswerter
Band!
Dr. G. Mackenthun
Berlin, Dezember 2004
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Schöner neuer Mensch?