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Lütz, Manfred: Gott. Eine kleine Geschichte des Größten. Pattloch Verlag, München 2007, 297 Seiten


Schon der Titel deutet auf die Gesinnung des Autors hin. Und die Lektüre macht denn auch deutlich, dass Herr Lütz zwar für Toleranz plädiert, jeder möge doch glauben was er wolle, aber letztlich sei es eben doch so, dass die Atheisten und Agnostiker diejenigen sind, die dem Irrtum unterliegen. Dabei gibt er den ‚armen Irren’ – denn nun sind es wohl die Ungläubigen, die der Pathologie verdächtig sind – nur oberflächlich das Wort. Wäre der Vergleich nicht zu viel der Ehre, dann ist der Leser an die Bemerkung Goethes erinnert, der bezüglich der Kantischen Kritik der praktischen Vernunft, in der dieser Gott wieder einsetzt, äußerte, hier habe sich Kant seinen Mantel beschlabbert. Und die Anekdote berichtet, Kant habe den Gottesbeweis seinem ergebenen Diener Lampe zu Liebe eingeflochten, weil der ohne eine Gottesvorstellung nicht hätte leben können.

Der Text selbst kommt jovial und humorig daher, verdeckt aber nur schlecht die reaktionäre Geisteshaltung. Herr Lütz geht hinter die Aufklärung zurück, wobei er als Psychiater, Psychotherapeut und „Kenner der Philosophie“ wissen könnte, dass eben die bloße rationale Aufklärung des Menschen nicht zu einer emotional aufgeklärten Haltung führt. Zuletzt könnte man ihn mit Nietzsche, den er übrigens einzig als den radikalsten Atheisten gelten lässt – der darüber leider verrückt wurde – als Bestsellerautor verdächtigen, den modischen Geschmack der Massen getroffen zu haben. Immerhin erscheint es nicht abwegig, dass die Kirchen und Glaubensgemeinschaften in Zeiten der Krise eine neue Renaissance erleben. Da die Menschheit mal wieder mit ihrem Witz an ein Ende gekommen ist (mögliche ökologische Katastrophe, Überbevölkerung, entfesselter Kapitalismus in der Globalisierung usw.), greift sie nun in ihrer Vatersehnsucht auf einen bzw. verschiedene Götter zurück, die es dann wieder richten sollen. Getreu dem Motto: Man lebt gegen jede Vernunft und emotionale Intelligenz und wenn dann alles ruiniert ist, suche man sich aus der Verantwortung zu stehlen.

„Angesichts der verwesenden Leiche muss jeder für sich eine Entscheidung treffen: Hält er diese Evidenz von Biologie und Chemie für die einzig wahre Erkenntnismöglichkeit? Oder hält er die Evidenz von Milliarden Menschen aus allen Völkern und Epochen für wahr, dass der Mensch von einer Eigenart ist, dass er nicht ins Nichts versinkt. Natürlich kann man hier wieder mit Feuerbach und, wenn man will, mit Freud alle möglichen psychologischen Gründe dafür anführen, warum man an die Unsterblichkeit der Seele glaubt, obwohl es sie in Wirklichkeit nicht gibt. Genauso gut kann man aber auch gute psychologische Gründe dafür anführen, warum man nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubt, obwohl es sie in Wirklichkeit gibt“(162).

Wenn der Autor „die Psychologie“ so platt auslegt, dann hilft sie tatsächlich nicht „bei der Erkenntnis existenzieller Wahrheit“ weiter. Seine Argumentationslinie bewegt sich teilweise auf so fragwürdigem Niveau, dass als Gegenargument zur Evidenz von Milliarden Menschen angeführt werden kann: Leute, fresst Scheiße! Millionen Fliegen können nicht irren. Da findet sich im Neuen Testament mehr Klugheit, wenn etwa Jesus die Worte in den Mund gelegt werden: 'In der Welt habt ihr Angst. Aber tröstet euch, ich habe die Welt überwunden.' Hier ist erfasst, dass die Angst ein Anthropinion (Wesensmerkmal) des Menschen ist. So kann es denn als wahrscheinlich angesehen werden, dass die ersten Menschen über den Animismus, die Beseelung der ängstigenden Natur, dazu kamen, überall Götter und Gnome zu sehen, die im Grunde so ähnlich waren wie sie selbst, nur ungleich mächtiger. Und wenn es gelingt, mit Hilfe passender Rituale auf sie Einfluss zu nehmen, dann ist der Mensch schon nicht mehr ganz so ausgeliefert. Dies ein Gedanke, den auch Freud aufgegriffen hat und der wohl noch heute Gültigkeit beanspruchen darf – was man durchaus von seiner Vatermordhypothese nicht sagen kann. Und wenn Freud schließlich die Religion auf Grund ihrer Rituale als kollektive Zwangsneurose bezeichnet, dann ist das sicher unbequem, aber immerhin eine bedenkenswerte Interpretation menschlicher Auswegsuche aus der Not. Die Überlegungen treffen im Übrigen auch auf andere Ausgestaltungen von Zwangsneurosen zu: Sie dienen der Sicherung der persönlichen Existenz und sind teilweise eine Antwort auf äußerst verängstigende Verhältnisse in der frühen Kindheit, ein Versuch z.B. eine sichernde Antwort auf eine völlig desolate Bindungsstruktur, besser ein Bindungschaos, zu geben.

Es ist durchaus nicht zwingende Schlussfolgerung, dass Freiheit, Unsterblichkeit und Gott die Vernünftigkeit moralischer Gesetze belegen. Der Unsterblichkeitsgedanke kann durchaus als Gegenwehr zur schwer erträglichen Tatsache der Sterblichkeit des Menschen angesehen werden. Und es könnte eher eine Konsequenz aus der Einsicht sein, moralische oder ethische Gesetze zu befolgen, weil sie etwa die größtmögliche relative Freiheit des Einzelnen wahren und der Mensch zum Zweck an sich und nicht zum Mittel verkommt. Die Fragen der Ethik sind selbstverständlich von einer gewaltigen Komplexität und die Existenz Gottes als Garanten anzusehen folgt lediglich einer autoritären Grundhaltung. Nur unter autoritaristischen Gesichtspunkten wäre es

„völlig irrsinnig, dieses Gesetz zu befolgen, wenn man nicht zugleich genauso fest von der Freiheit des Menschen, der Unsterblichkeit der Seele und von der Existenz Gottes ausgehen würde“(171).

Dabei darf nicht daran vergessen werden, dass es sehr wohl jeweils verschiedene Götter sind, die die absolute Wahrheit für sich beanspruchen, je nach Duktus und Machtgelüsten der den jeweiligen Gott intronisierenden Herrschenden.
Der Hauptgewährsmann in Glaubensfragen ist Herrn Lütz Karl Rahner, den er den „wirkungsreichsten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts“ nennt. Weil der Mensch die Endlichkeit nicht ohne Unendlichkeit denken könne, sei er „allein schon in seinem Erkenntnisvermögen auf Gott hin geschaffen“. (174) Zwingend erscheint mir dies nur, wenn der Mensch es nicht ertragen kann, Fragen offen zu lassen. Jede offen gelassene Antwort scheint mir aber besser und redlicher zu sein als eine schlechte Antwort. Angesichts 'des gestirnten Himmels über uns' steht uns Bescheidenheit gut zu Gesicht. Aber nur weil wir über die vierte Dimension (wenn wir die Zeit hinzu nehmen) vorstellungsmäßig nicht hinaus können, müssen wir deshalb einen Gott einsetzen (und welchen?)?
Problematisch erscheint mir auch der Gottesbeweis – abgesehen davon das Gott weder bewiesen noch widerlegt werden kann, was die Debatte vermutlich nie an ein Ende führen wird -, aus der Tradition. Nur weil „vernünftig sei, was alle vernünftigen Wesen für vernünftig halten, dann war es zu allen Zeiten der Menschheit vernünftig, an Gott oder Göttliches zu glauben“ (Robert Spaemann, Seite 179), ist ein schwaches Argument. Schließlich ist auch die Vernunft an den Erkenntnisstand der Menschheit gebunden und was 2000 Jahre vernünftig war, kann nach 4000 Jahren vielleicht ein Erstaunen darüber hervorrufen, wie lange die Menschheit sich doch irren konnte.
Der Diskurs darüber, ob Gott Person ist oder nicht, erscheint mir ähnlich nebensächlich wie die Debatte der Scholastiker über die Frage, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben. Es gibt wirklich bedeutsamere Probleme, für die die Menschheit eine Lösung finden muss. Und wenn nur eine Person uns „in all der Angst unserer irdischen Existenz wirklich trösten“ (187) kann, dann arbeiten wir daran, zum Mitmenschen zu werden, der den anderen trösten kann. Frei nach Feuerbach: 'Es gibt nicht genug Liebe auf der Erde, als das wir es uns leisten könnten, davon etwas an ein Wesen abzugeben, dessen Existenz durchaus zweifelhaft ist.'
Und so geht es weiter über Seiten. Das Abraham zum Urvater der Religion wurde, kann dann nur aus der postulierten Tatsache verstanden werden, dass sich ihm Gott offenbart hat. Nun, er wird nicht der letzte sein, der davon überzeugt ist, was unser Gehirn uns so vorgaukelt. Klaus Kinski traf den Zeitgeist nicht so gut, scheiterte mit seiner Jesusinszenierung – und seiner unglaubwürdigen Darstellung – an den noch religionskritischen 68-igern. Die hatten allerdings eine andere Religion. Dass diese nur wenige Jahre überdauerte hat mit der realen Existenz der ‚Götter’ zu tun, die irgendwann dem Prozess der Entidealisierung zum Opfer fallen. Da hat ein nicht existierendes 'Wesen' ungleich bessere Karten, zumal seine 'Taten' je nach Situation umgedeutet werden können.
Wenn es um die Irren und Wirren der Priesterschaft geht, ist es Herrn Lütz tröstlich, dass die auch nur Menschen sind und damit zu allen Sauereien fähig. Und dass dieser Saustall noch nicht untergegangen ist wird ihm zum Wunder, nicht etwa zu einer Machtfrage. Außerdem ist es ja noch tröstlich! Denn bestünde die Kirche aus lauter Engeln, hätten wir mit

„unseren Macken und Fehlern keinerlei Chancen auf Erlösung. So aber gilt, dass die Menschwerdung Gottes keine ausgedachte Idee ist, sondern Wirklichkeit“(223).

Drum heißt es ja so schön: Wer's glaubt wird selig. Und wer nicht, der kommt auch in den Himmel – wenn es denn einen gibt.
Und dann ist da noch das Bekehrungsbeispiel der Managerin, die an Depression erkrankte, ihren Job kündigte, ins Kloster ging und von nun an keine Depressionen mehr hatte. (242f) Was wäre, wenn hier der Psychiater irrte und die Frau gar keine phasische Depression hatte? Was ist schon verstanden, wenn so wenig über die Frau mitgeteilt wird? Jede Religion hat ihre Wunder oder was sie dafür hält. Bezogen auf das individuelle Leid kann man die Frau nur beglückwünschen, dass sie nun schon seit 19 Jahren nicht mehr von tiefen Depressionen geplagt ist. Eine Empfehlung für andere lässt sich daraus sicher nicht ableiten.
Dann hätten wir noch Exerzitien im Angebot. (251) „Es sind keine fernöstlichen meditativen Reisen nach nirgendwo, in denen man mit abnehmender Begeisterung das eigene Ich umkreist, um dann irgendwann ermüdet im Nirwana zu versinken.“ So klingt dann die unterschwellige Werbung für die wahre Religion und den richtigen Gott. Der nächste Schritt besteht dann in der Aufstellung entsprechender Dogmen, wozu dann Herr Ratzinger passt, der inzwischen vom Hüter der Dogmen zum Stellvertreter Gottes aufgestiegen ist.
Schließlich lässt sich noch Horkheimer ins Feld führen, (254) der gefragt haben soll: „Warum soll ich gut sein, wenn es keinen Gott gibt?“ Nun, weil ich Mensch bin und den anderen auch diesen Status zugestehe! Die Kirche soll denn auch als ethosbildender Verband weiter vom Staat gefördert werden. (255) Ich könnte mir auch die Umfunktionierung der Kirchenhäuser im Sinne Nietzsches vorstellen, in denen Ethik jenseits der Glaubensrichtung unterrichtet wird.

Bernd Kuck, Bonn Aug. 2008     email

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