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Lemma Alessandra: Transgender-Identitäten. Eine Einführung. Aus dem Englischen übersetzt von Eberhard Knoll unter Mitarbeit von Daria Bendel. Brandes & Apsel. 2024


»Die klinischen und theoretischen Diskussionen über Transgeschlechtlichkeit, die in der Psychoanalyse allzu oft pathologisiert und in der feministischen und queeren Literatur zum Politikum werden, können zu einem starren, binären Denken führen« (S. 7).

Diese Eingangsworte im vorliegenden Text beschreiben nicht nur die aktuelle Situation im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs, sondern sind zugleich die Antithese der Autorin, die sich explizit um eine differenzierte Betrachtung bemüht. Ihre ausgedehnte klinische Erfahrung mit Transmenschen und ihre psychoanalytische Haltung im besten Sinne des Wortes, haben sie zu einer produktiven Skepsis gegenüber beiden Richtungen geführt. Selbst wenn in der analytischen Diskussion darüber Einigkeit besteht, dass hinter dem Wunsch nach einer Transition (verbunden mit medizinischen Eingriffen zur Wandlung des biologischen Geschlechts) unbewusste Konflikte wirksam sind, so besteht doch Uneinigkeit darüber, ob eine Transition nicht auch dem Wohl ders Patient:in dienen kann.

Eingangs werden nun die zugänglichen Untersuchungen und statistischen Befunde dargestellt. Darunter etwa die auffällige Häufigkeit biologisch weiblicher Menschen, die eine Transition anstreben. Auch wenn Lemma dafür keine Erklärung hat, so scheint es doch naheliegend, dass dies mit den nach wie vor patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft in Zusammenhang steht, was die Autorin ebenfalls im Blick hat, wenn sie destruktive Auswirkungen der Frauenfeindlichkeit namhaft macht. Aber es gibt eben nicht nur den gesellschaftspolitischen Aspekt, sondern in der Einzelfallanalyse können Konfliktdynamiken systemischer Natur eine Rolle spielen, wie etwa an dem Beispiel von Kay deutlich wird.

»Als psychoanalytische Kliniker sind wir über den Drang, den Körper zu verändern (sobald er sich als ein Merkmal des Patienten erweist), beunruhigt, da die Beeinflussung der Stimmung oder des Selbstwertgefühls durch körperliche Veränderungen häufig oberflächlich bleibt und nicht auf das grundlegende seelische Unbehagen eingeht« (S.15).

Dem Grunde nach ist der aktuelle Umgang mit der physischen Leiblichkeit durchaus problematisch, wenn es einfach nur darum geht, die äußere Erscheinung den gerade gängigen Schönheitsidealen anzupassen, was etwa den größten Teil der sogenannten Schönheitschirurgie betrifft. Geht es um Geschlechtsdysphorie, die für den Menschen mit großem Leid verbunden sein kann, stoßen wir auf einen Bereich, für den nicht nur ethische Überlegungen von Belang sind, sondern eben auch unbewusste Motivationslagen, die vor einem Eingriff geklärt sein sollten, um zu einer autonomen und wohl informierten Entscheidung zu gelangen. Dabei geht es eben nicht allein um eine sachliche, intellektuelle Informiertheit, wenn natürlich die Risiken bekannt sein und abgewogen werden müssen.

»Freud war der Meinung, dass „der Einfluss [eines rein intellektuellen Verstehens auf eine Entscheidungsfindung] so groß ist wie die Verteilung von Speisekarten auf Hunger in einer Zeit der Hungersnot“« (S. 137). Der gut lesbare und in der Darstellung sehr differenzierte Text wird flankiert von Beispielen aus der analytischen Arbeit der Autorin und ist als Einführung sehr anregend und empfehlenswert.

Bernd Kuck      
August 2024. Zuerst erschienen im Ärzteblatt PP in 8/24


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