Frode Grytten: Eine Frau in der Sonne.

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Grytten, Frode: Eine Frau in der Sonne. Liebesgeschichten zu Bildern von Edward Hopper. Nagel & Kimsche Verlag 2009, gebundene Ausgabe, 208 Seiten.


V I T A

Frode Grytten ist 1960 geboren

Er arbeitete viele Jahre als Journalist und lebt heute als Schriftsteller im norwegischen Bergen

1999 wird sein erster Roman veröffentlicht "Was im Leben zählt". Er wird hochgelobt, in ein Dutzend Sprachen übersetzt und bekommt den höchst dotierten Literaturpreis in Norwegen (interessant ist, dass der Roman aus 25 locker verbundenen Erzählungen besteht)

2001 veröffentlicht der Autor eine Novellensammlung, in der jedes Stück einem klassischen Popsong zugeordnet ist.

2009 in seinem neuen Prosaband schreibt er jetzt zehn Geschichten zu zehn Bildern von Edward Hopper.

I N H A L T

Bilder von Edward Hopper also inspirieren Frode Grytten zu zehn kurzen Geschichten. Daraus entsteht ein schmales Buch, 200 Seiten, sehr schön aufgemacht. Alle zehn Bilder von Hopper finden Sie als kleine Reproduktionen jeweils am Anfang der einzelnen Geschichten. Die Titel der Bilder übernimmt der Autor als Überschrift für die betreffende Prosaminiatur. Und ganz wie von den Hopper-Originalen geht auch vom kleinen Format diese große Faszination aus. Ein doppeltes Vergnügen also, kostbar illustrierte, feine Liebesgeschichten. Bilder und Geschichten passen zueinander.

Hoppers Bilder könnten auf den ersten Blick Fotografien sein, hart realistisch gemalt und unwirklich zugleich. Aber es bleibt niemals bei einem ersten Blick. Diese Bilder zwingen zu langem Schauen. Sie saugen den Betrachter hinein in den angehaltenen Augenblick. Sie lassen uns hinein schaun in Häuser Zimmer Züge Räume. Wir sind draußen und bekommen Einblick. Wie durch Fenster. Es entsteht etwas Gläsernes, Zerbrechliches. Hopper malt die Leere, das Licht und die Stille. Die Bilder wirken wie ein Sog. Rufen starke Gefühle auf, drücken Stimmung aus. Und doch bleibt viel Raum für eigenes Empfinden. Da ist nichts Überflüssiges, nichts lenkt ab, freie Assoziation kommt in Fluss. Es entsteht ein Bild hinter dem Bild. Ungezeigtes bleibt offen, wie Ungesagtes zwischen den Zeilen. Die Bilder sind geheimnisvoll. Sie regen an zum Weiterdenken, Rätseln, Phantasieren, Fragen. Das Theaterstück "Endstation Sehnsucht" fällt mir immer wieder ein. Es ist, als gelänge es Edward Hopper all unser so individuelles Sehnen zusammen zu fassen in die Sehnsucht schlechthin und anschaulich zu machen.

Und der Autor trifft genau den Nerv dieser Bilder, übersetzt die Haltung der Menschen, den Ausdruck in ihren Gesichtern in Worte. Er entspinnt Geschichten, entwickelt Beziehungen. Löst ein Drehbuch heraus und macht Kurzfilme daraus. Er lässt die Bilder laufen aus dem Standbild heraus.
Wo E. Hopper die Menschen einfriert, macht sie F. Grytten lebendig, gibt ihnen Fleisch und Blut. Der Maler lässt Verborgenes, Geheimes in der Erstarrung – der Dichter löst die Zungen, demaskiert in der Bewegung. Seine Protagonisten sprechen, fühlen. Er erzählt von Schicksal, Begegnung, Lebensentwürfen – genau so reduziert wie die Bilder.
Alles wird berührt: Enttäuschung Bitterkeit Resignation Sehnsucht Einsamkeit Treue Trennung Liebe Zweifel, zärtliche Erinnerung, flüchtiges Glück. F. Grytten trifft immer den richtigen Ton. Er kleidet die Sprachlosigkeit einzelner Bilder in Worte und zeigt, dass auch die Sprache ein unsicherer Ort ist. Da sind transparente Dialoge, durchsichtige Momente, stumme Zwiesprache, hellsichtige Visionen. Rührende poetische Stellen, behutsam, versöhnlich, voll Vertrauen.
Sind die Bilder manchmal wie Sinnbilder für schmerzliche Distanz, so tragen uns die Worte hinein in Landschaften, machen die Wände durchlässig, versetzen uns in die Menschen, die unterwegs sind in ihren Leben in New York, in Irland oder Lissabon. Der Autor streut konkrete Orte in sein Erzählen. Und dann wieder hören wir Streitgesprächen zu, die in jedem beliebigen Zimmer geschehen können, überall auf der Welt.
Einige der Geschichten kommen sperrig und spröd daher und sprechen uns dennoch an, weil sie das Brüchige zwischen den Menschen zeigen; die wunden Punkte, wo wir schutzbedürftig sind, wo Feinfühligkeit gefragt ist. Risse im Hintergrund tauchen auf, das Eis wird dünn. Wir hören die feinen, gefährlichen Sprünge.
Einige der Bilder könnten Spiegelbilder sein. Und der Autor wirft einen Stein. Das schöne Bild zerfällt in einen Scherbenhaufen. Wir Leser könnten daraus wie aus Puzzleteilen ein neues Bild zusammensetzen, unsere eigene Version. Phantasieren und Träumen sind da keine Grenzen gesetzt. Alle diese Geschichten haben nämlich kein Ende, vielmehr ein offenes Ende zum weiterspinnen.
Beide, der Maler und der Dichter verführen uns in ihre Welten. Fotografie und Architektur sind wiederkehrende Motive. Menschen isoliert, zu zweit oder allein in Häusern, Zimmern, Räumen. Ich kenne keinen anderen Maler, der so meisterhaft darstellen kann, wie eine unüberwindliche Entfernung ist zwischen zwei Menschen, die umschlossen sind von einem Raum. Der Betrachter eines solch unsichtbaren Abstandes erlebt einen kostbaren Moment aus Erkenntnis und Staunen, der für immer eingeschlossen bleibt in der Erstarrung. Und so zieht der Maler das Fühlen seiner Gestalten weit hinaus in eine andere, entrückte Distanz, aus der der Dichter sie wieder heranholt in eine greifbare Nähe. Wenn auch nur kurzfristig, dann entlässt er sie wieder aus seinen Geschichten in unsere Köpfe und Herzen, wo sie weiter spuken.
Und es gibt ein Datum, das in jeder Geschichte vorkommt, der 27. August. Die Bedeutung dieses Datums bleibt verschlüsselt. Danach befragt meint der Autor lächelnd: "Wir haben einen Rest Sommer in uns." F. Grytten mag es geheimnisvoll. E. Hopper auch. Licht spielt eine Rolle. Lichteinfall. Ist es die Morgensonne, das Abendlicht, oder gleißender Mittag – wir erfahren daraus Tageszeit und Jahreszeit, die sich der Autor nimmt für seine Geschichten. Auch Sternenlicht kommt vor und der Mond. Alle diese Lichtquellen, Gegenlicht, Streulicht beleuchten und begleiten die Phantasien des Autors. Bringen Ruhe und Klarheit in die Momentaufnahmen. Manche sind unterbelichtet und ein fahler Augenblick bleibt uns hängen im Gedächtnis. Auch lichtlose Stunden sind dabei.
Aber das warme und weiche Licht von den Bildern, das tiefer fällt, das Seelenräume erhellt, das scheint noch lange nach. Und das hübsche Buch passt nicht nur in den Urlaubskoffer, sondern auch auf ein Ehrenplätzchen in Ihrem Bücherregal. Ich empfehle es.

Roswitha Hofmann, Kaufbeuren      email
Juni 2009

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