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Geuter, Ulfried: Körperpsychotherapie. Grundriss einer Theorie für die klinische Praxis. Springer Verlag, Berlin 2015, 379 S.


In den Anfängen der Körperpsychotherapie „kümmerte man sich wenig“ um wissenschaftliches Denken. Und wenn es Rebellion gegenüber den „etablierten“ Verfahren Psychoanalyse und Verhaltenstherapie gab, über deren Dogmen man sich aufregte, „so pflegten“ die Körpertherapeut_Innen „doch selbst ihre Dogmen“. Erfahrungswissen ist ein reicher Schatz, muss sich jedoch im wissenschaftlichen Diskurs bewähren, wenn es nicht ein bloß randständiges Dasein in der Psychotherapielandschaft führen möchte – auch wenn Wissenschaft nicht notwendig Naturwissenschaft heißen kann, deren Dominanz im lebendigen Dasein durchaus problematisch ist.

Geuter möchte gerade dazu einen Beitrag leisten, wobei er kein Interesse an der Fortführung des ewigen Schulenstreites in der Psychotherapie hat. Daher reagierte er denn auch verärgert, wenn Tilmann Moser in seiner Rezension im Ärzteblatt/PP (9/15) zwar mit Wertschätzung die von Geuter geleistete Arbeit bedenkt, ihm zugleich jedoch unterstellt, sich „aus einem Mangelgefühl heraus noch eine psychoanalytische Ausbildung“ angeeignet zu haben. Davon schreibt Geuter nichts im vorliegenden Text. Und wenn Moser es bedauerlich findet, dass Geuter eher den Abstand zur Psychoanalyse vergrößern möchte, dann kann ich dies als Psychoanalytiker bedauern. Bezieht er sich jedoch auf die klassische Analyse – und so verstehe ich ihn, denn er hat nicht nur psychoanalytische Beiträge rezipiert, sondern zitiert auch die psychoanalytischen Autoren relativ ausgiebig, die ihrerseits sich für die Befunde der Körperpsychotherapie geöffnet haben -, so finde ich die Distanzierung sehr nachvollziehbar. Letztlich baut wohl jeder auf dem Wurzelstock seiner fachlichen Herkunft und Geuter stammt eben nicht aus der Psychoanalyse, sondern hat seine ersten Schritte in der Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie gemacht und ist dann direkt in die Körperpsychotherapie eingestiegen. Also lernen wir doch wechselseitig, was u.a. für interessierte Leser_Innen heißen kann, zu diesem grundlegenden Werk von Geuter noch das Lehrbuch von Geißler/Heisterkamp „psychoanalyse der lebensbewegungen“ (2007) zu rezipieren und selbst die Gemeinsamkeiten zu entdecken.

Geuter legt hier sein in vielen Jahren Körperpsychotherapie gesammeltes Wissen dar. Dazu gehört eben nicht nur Erfahrungswissen, sondern ebenso die Rezeption der Säuglings- und Bindungsforschung, Ergebnisse der Emotionspsychologie und die für die Körperpsychotherapie relevanten neurobiologischen Forschungsergebnisse. Den Auftakt bildet jedoch ein Überblick über die Historie der Körperpsychotherapie, die bis in die Anfänge der Psychoanalyse zurück reicht, dort mit den Namen Ferenczi, Rank und vor allem Wilhelm Reich verbunden sind, ihre tiefsten Wurzeln jedoch in der Humanistischen Psychologie hat.
Sein breites Wissen versteht Geuter anschaulich und gut lesbar darzustellen, zumal er die Darstellung durch Erläuterungen zur therapeutischen Anwendung, sowie durch anschauliche Fallvignetten bereichert.
Der Mensch ist ihm „erlebendes Subjekt“. D.h. er ist nicht allein aus der Biologie erklärbar und schon gar nicht verstehbar. So interessiert sich der Autor dafür, „wie ein Mensch in seinem Körper lebt und in und mit ihm sich und die Welt erlebt“ (S. 6).

Begrifflich bevorzugt Geuter den der „Körperpsychotherapie“, weil dieser international am meisten verwandt wird; weil in ihm zum Ausdruck kommt, dass menschliches Leiden in dieser Behandlungsform mit körperlichen und psychischen Mitteln behandelt wird; der Leibbegriff aus der phänomenologischen Richtung keine wesentlichen Vorteile bringe. Lediglich müsse Klarheit darüber bestehen, aus welcher Perspektive auf den Körper Erkenntnisse gewonnen werden. So ganz zufriedenstellend ist das noch nicht, da die Begriffe sprachliche Belastungen mit sich führen, worauf vor allem Heidegger hingewiesen hat und daraus die Rechtfertigung bezog, für seine Existenzialontologie neue Begriffe zu schaffen. Hier scheint mir noch keine gute Lösung gefunden, zumal die Medizin den Körperbegriff in einer Art und Weise im Unbewussten der Menschen verankert hat, die in erster Linie an eine mechanistische Vorstellung und die Reparaturmentalität des modernen Menschen anknüpft. Selbstredend ist Geuter weit von einer solchen Haltung entfernt, sieht er doch eine der Wurzeln der „Körpertherapie“ hinsichtlich der Anschauung der Lebenswelt in der Lebensphilosophie. Der dort, wie in der Phänomenologie, vertraute Gedanke des Doppelaspektes des Leibes (Thomas Fuchs; wir haben einen Leib und sind unser Leib) und dass dieser uns nur aus der Perspektive der ersten Person erlebbar ist, „gehört zu den theoretischen Grundvoraussetzungen einer erlebniszentrierten Körperpsychotherapie“ (S. 22). Daher heißt es denn in dem hervorgehobenen Lehrsatz:

In der Körperpsychotherapie betrachten wir den Körper als den personal erlebten Körper eines lebendigen Subjekts.“

Selbstverständlich verortet Geuter die Körperpsychotherapie darüber hinaus in der Idee des Holismus. Mentale, körperliche und seelische Prozesse lassen sich nicht wirklich trennen, sondern wirken mit- und ineinander. Die Theorie der „Verkörperung“ (Geuter möchte diese Übersetzung von Embodied Mind nicht verwenden, da hier der alte psychosomatische Gedanke, Psychisches löse Körperliches aus, mitschwingt), also Embodied Mind und die theoretische Fundierung des Erlebens in einer dynamisch-systemischen Sicht des Lebens geben in Geuters Perspektive den theoretischen Rahmen der Körperpsychotherapie ab (S. 74).


Deutlich grenzt sich Geuter gegenüber der naturwissenschaftlichen Methode zum Verständnis von Erlebnisqualitäten ab. So kann etwa die chemische Zusammensetzung von Angstschweiß objektiviert werden, jedoch auf diesem Wege keine sinnvolle Aussage über die Erlebnisqualität des Individuums gewonnen werden.. Hier helfen phänomenale Begriffe weiter, die zur physikalischen Beschreibung deshalb nicht im Widerspruch stehen müssen. In einem Drei-Ebenen-Modell (vegetativ – muskulär-motorisch – psychisch-kognitiv) lasse sich das Erleben beschreiben. Dabei grenzt sich Geuter von der biologischen Schichtung wie sie Boadella versteht ab. Die Ebenen sind gerade nicht kausal verknüpft, sondern müssen als ein wechselwirkendes Gesamtsystem betrachtet werden, in dem Erleben über alle Ebenen sich vollzieht. Der Atem durchzieht alle Erlebensebenen, weshalb er in der Behandlung eine herausragende Bedeutung hat.

Aus ähnlichen Überlegungen zur Erlebnisqualität ist eine Fundierung der Körperpsychotherapie in den Neurowissenschaften nur in recht engen Grenzen möglich. Zustimmend zitiert Geuter den bekannten Hirnforscher Gerald Hüther, wenn dieser die Erkenntnisse der Neurowissenschaften für die Psychotherapie ironisierend zusammenfasst:

„1. Der Mensch kann sich ändern.
  2. Der Mensch hat Gefühle.
  3. Kindergehirne sind besonders leicht form-(und verform-)bar“ (S.130).

Und so verkehrt sich in den Aussagen der Neurowissenschaftler schon mal Ursache und Wirkung. So ist etwa das geschrumpfte Hippocampus-Volumen bei Kriegstraumatisierten nicht die Ursache ihrer Probleme, sondern der Krieg. Und so liegen die „meisten Ursachen psychischen Leidens […] im Leben, nicht im Gehirn oder in den Genen“ (S. 132).

Für die komplexen Zusammenhänge der Gedächtnisleistungen, von denen die meisten implizit ablaufen und eventuell nie dem Bewusstsein zugänglich sein werden, schlägt Geuter bezüglich der emotionalen und körperlichen Niederschläge von Lebenserfahrungen den Begriff des „emotional-prozeduralen Gedächtnisses“ vor (S. 168). Emotional-prozedurale Erlebens- und Handlungsmuster werden im emotional-prozeduralen Gedächtnis gespeichert und sind zu Teilen in der Körperarbeit reproduzierbar.


Und so gibt es viele anregende Gedanken, die hier im einzelnen nicht alle dargestellt werden können. So zu Modellen „der Emotionalität als Grundlage körperpsychotherapeutischer Behandlung“; Weisen körperlicher Abwehr; dem Ausdrucksgeschehen; Übertragung und körperliche Resonanz, mit der wir den anderen verstehen (wobei Geuter mir den Gegenübertragungsbegriff zu eng zu fassen scheint); die fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Begriff des „präsentischen Verstehens“ (Heisterkamp) usw.

Da ist denn Tilmann Moser ausdrücklich zuzustimmen: “Das umfangreiche Buch wird als Kompendium für alle Forscher und Praktiker unentbehrlich werden“. Wir dürfen auf den zweiten Band, der vorrangig die Praxis zum Gegenstand haben soll, gespannt sein.

Bernd Kuck      
Dezember 2015

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