Geißler, Peter (Hrsg.): Der Körper in Interaktion.
Handeln als Erkenntnisquelle in der psychoanalytischen Therapie.
Psychosozial Verlag, Gießen 2008, 291 Seiten, Broschur
Vor gerade einmal zehn Jahren fand das erste Wiener Symposium
„Psychoanalyse und Körper“ statt. Peter Geißler
berichtet in der Einführung von den Schwierigkeiten, Referenten
aus Österreich zu finden. Die Absagen gründeten sich auf
die Vorstellung, Körper sei gleichzusetzen mit Agieren. Damit
war gleichsam das Urteil gefallen: Psychoanalyse findet nicht statt,
denn die kann nur in der Versagung gelingen. Alles was in Handlung
einmündet muss als Agieren abgelehnt werden. Die Österreicher
sind auch zehn Jahre später konservativ geblieben.
Das sind
die üblichen Dogmen, die Neuanfänge und Innovation im Keim
ersticken. Seit Ferenczi mit handelnder Interaktion experimentierte
und dabei auf wenig Gegenliebe in der psychoanalytischen Gesellschaft
stieß, ist der Bannfluch ausgesprochen. Erst mutige Analytiker
unserer Tage (wie etwa Geißler, Heisterkamp, Moser) wagten es,
die Schätze der körperlichen Interaktion zu heben.
Keine Frage: Wird der Körper einbezogen, so ist große
Umsicht geboten, denn der Körper ist sozusagen die letzte
Bastion in der Abwehr. Und wo es an ausreichender psychischer
Struktur fehlt, da drohen durchaus Auflösungserscheinungen. Hier
scheinen die Ängste der klassischen Analyse eine ihrer Wurzeln
zu haben. Dabei können sie sich auf die 'psychischen Aus- und
Einbrüche' berufen, die sich in den 70-iger Jahren in
Encountergruppen und an manchen Gestaltwochenenden ereigneten.
Inzwischen wird in der Psychoanalyse mehr über den Körper
nachgedacht. Aber eben nur nachgedacht oder auch im phantasmatischen
Raum über symbolische Bedeutungen körperlicher
Ausdrucksweisen reflektiert. Der Therapeut bleibt dabei weitgehend
sicher hinter der Couch, obwohl er/sie natürlich an der sich
entwickelnden Interaktion beteiligt ist. Handlungsdialoge können
auf der unbewussten Ebene betrachtet und gedeutet werden (Klüwer),
sie können aber auch als aktiv angebotene, sich aus dem
Unbewussten entfaltende Handlungen (Heisterkamp) äußerst
hilfreich in den therapeutischen Prozess einbezogen werden. So wird
ein altes Wort von Alfred Adler ernst genommen, wonach der Mensch in
seinem Mitteilungsbedürfnis sich mit allem ausdrückt, was
ihm zu Verfügung steht – natürlich auch mit dem
Körper. Die sich unbewusst entfaltende Szene etwa eröffnet
den Zugang zu gut verdrängten Konflikten mit einer immer wieder
beeindruckenden Evidenz, die am ehesten mit dem Gesamteindruck eines
Bildes zu vergleichen ist, dessen Aussage sich uns u.U. jenseits
detaillierter Bildanalysen jählings erschließt.
Schon
die Öffnung des Settings, d.h. die Einbeziehung des ganzen
Therapieraumes, die Möglichkeit Couch oder Sessel zu verlassen,
bieten neue Möglichkeiten. Das sind nicht immer spektakuläre
Ereignisse, wie etwa die Patientin, die Freud um den Hals fiel und er
sich aus der Situation nur durch das Eintreten des Dienstmädchens
retten konnte. Z.B. kann lange darüber gesprochen werden, dass
ein Patient in seiner Ehe die zeitweise Distanz in der Abgegrenztheit
der Einzelnen nicht gut ertragen kann. Es lassen sich biographische
Hintergründe aufzeigen, Deutungen werden intellektuell erfasst
aber nicht wirklich verstanden. Das Angebot, einmal mit dem
Therapeuten auszuprobieren, wie sich Nähe und Distanz anfühlen,
wenn sich der Therapeut auf den Analysanden im Raum zubewegt, führt
zu einem emotionalen Verstehen, wenn der Analysand körperlich
wahrnimmt, dass er es nicht aushalten kann, wenn das Gegenüber
in einem armlangen Abstand verharrt. Der Analysand nimmt den
physischen Impuls war, diesen letzten Abstand verkürzen zu
wollen, er den Analytiker am liebsten umarmen will. Der Kommentar des
Analysanden: „Jetzt verstehe ich Ihre Bemerkung, ich könne
wohl das Für-sich-Sein des anderen nicht ertragen.“.
Wie Handlung zur Erkenntnisquelle in der psychoanalytischen Therapie
wird, davon gibt der vorliegende Band bered Zeugnis. Die hier
gesammelten Aufsätze sind fasst alle in der Zeitschrift
„Psychoanalyse und Körper“ erstmals publiziert
worden. Geißler gliedert die Auswahl in drei Kapitel, womit er
die Entwicklung von der verbalen Reflektion körperlichen
Geschehens hin zu aktiven Handlungsdialogen nachvollziehbar macht. Im
ersten Kapitel („Grundlagen“) finden sich theoretische,
z.T. praktische Reflektionen, die die Grundlagen umreißen. Im
zweiten Kapitel („Übergangsformen“) steht der Körper
zwar schon im Mittelpunkt, dass Setting ist jedoch nicht
grundsätzlich offen. Mit wenigen Ausnahmen wird dem Patienten
der Zugang zum Körper verbal vermittelt. Im dritten Kapitel
(„Der Körper in Interaktion“) wird die unmittelbare
körperliche Interaktion nachvollziehbar, wobei die sich
ergebenden Möglichkeiten und Schwierigkeiten plastisch
dargestellt werden, die ein solches Vorgehen für Patient und
Analytiker bereithalten.
Eine kleine Nachlässigkeit soll gleichwohl Erwähnung finden: Im
Aufsatz von Frau Volz-Boers, der im Übrigen Eingang fand in
ihren Beitrag im Lehrbuch der analytischen Körperpsychotherapie
(„Psychoanalyse der Lebensbewegungen“), findet sich eine
Absatzdoppelung (S. 97). Das hätte auch bei oberflächlicher
Korrektur vermieden werden können.
Der
vorliegende Text eignet sich hervorragend zur Einführung in die
Thematik. Die Offenheit, zu der sich das Setting entwickelt hat,
spiegelt sich z.T. in der Offenheit der Darstellung der AutorInnen
wider, worin sich die Beiträge angenehm von den oft
schulmeisterlich anmutenden Darstellungen der „klassischen“
Analyse abheben.
Bernd
Kuck, Bonn Aug. 2008
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Der Körper in Interaktion