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Brackmann, Andrea / Jänicke, Katharina: Long Covid und Chronisches Erschöpfungssyndrom lindern. Das Pacing-Selbsthilfebuch. Stuttgart 2024: Klett-Cotta.


Schon lange gibt es das Chronische Erschöpfungssyndrom, auch Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS); manche sprechen von Myalgischer Enzephalomyelitis (ME), also einem entzündlichen Prozess im zentralen Nervensystem. Aber erst seit Long Covid nunmehr als Erkrankung anerkannt ist, erfährt auch ME/CFS mehr Aufmerksamkeit. Die Autorinnen, Psychologinnen und selbst Betroffene, legen hier ein Buch vor, in dem sie Erkrankten eine Hilfe zur Selbsthilfe anbieten, die die Krankheit nicht heilen, aber doch lindern kann. In ersten Teil klären sie Begrifflichkeiten, im zweiten stellen sie das Pacing Konzept (am ehesten übersetzt mit: »sich selbst das richtige Tempo vorgeben«) und im dritten Teil Techniken vor, die helfen, mit den Belastungen dieser schweren Erkrankung umzugehen. Flankiert wird der Text durch diverse Tabellen, die sich die Leser online herunterladen können.

Seit 2023 ist die Erkrankung im ICD10 aufgenommen. Unter der Diagnose Chronisches Fatigue-Syndrom ist ME ebenso eingeschlossen wie das Postvirale (chronische) Müdigkeitssyndrom (Code 93.3). Im Kern handelt es sich um Erkrankungen, die nach einer Virusinfektion auftreten. Die Erkrankten leiden in unterschiedlicher Ausprägung an Erschöpfung bis hin zu völliger Unfähigkeit, irgendetwas zu tun, was die Patienten mehrere Tage ans Bett fesseln kann. Wurden diese Patienten oft als depressiv diagnostiziert, so ist ein entscheidender Unterschied darin zu sehen, dass die ME/CFS Patienten durchaus Antrieb haben, was bei leichter Besserung der Symptomatik oft genug zu einem herben Rückschlag führt, da sie nun alles nachholen wollen, was bis dahin liegen geblieben ist. Auch die Ärzteschaft ist mit der Symptomatik noch nicht gut vertraut. Die Empfehlung, die auch depressiven Menschen mitgegeben wird, Sport zu machen, ist hier geradezu kontraindiziert, da es nach Bewegung im falschen Maß zum Rückschlag kommt.

»Die NICE Leitlinie für Ärzt:innen und medizinisches Fachpersonal legt fest, dass jegliche Therapien, die auf körperliche Aktivität oder Bewegung als Heilmittel für ME/CFS basieren, nicht mehr zu empfehlen sind« (S. 52).

Zentrales Thema des Buches ist Entschleunigung. Die Fragebögen sind so umfangreich, dass mit der Beschäftigung damit bereits das Pacing beginnt; sich nicht zu viel zumuten. Wie tief wir den Leistungsgedanken verinnerlicht haben, wird an einer Stelle deutlich, wo den Autorinnen die Empfehlung unterläuft:

»Diese Grundübung können Sie auch öfter mal auf die Schnelle zwischendurch machen« (147).

Wäre es also denkbar, dass jahrelange Überforderung oder traumatische Erfahrungen (PTBS als Folge), sowie ein Ignorieren der zyklischen Zeit lebendiger Wesen, der Hype um alles Digitale, worin die lineare Zeit Grenzenlosigkeit suggeriert (Fuchs 2020, Die Verteidigung des Menschen) zur Schwächung des Immunsystems führen? Die Abwehr von Krankheitserregern ist dann eingeschränkt. Pacing beinhaltet in der Hauptsache die Entwicklung des Spürbewusstseins, um nicht über die physisch-leiblichen Verhältnisse zu leben.

Bernd Kuck      
Mai 2024. Zuerst erschienen im Ärzteblatt PP in 10/24


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