
Arendt Hannah: Ich selbst, auch ich tanze. Die Gedichte. Piper Verlag 2015
Der Gedichtband liegt, neben anderen Büchern, auf meinem Nachttisch. Mich sprach der Titel an:
„Ich selbst, auch ich tanze“. Ich verstehe das Tanzen als ein Sich-selbst-zeigen - die eigene Bewegung, den inneren Rhythmus und wurde neugierig.
Zunächst war mir gar nicht klar, was mich daran so faszinierte – ich las die Texte abends im Bett, sprach viele leise vor mich hin, und lernte einige von ihnen auswendig, die ich dann fast jeden
Abend vor mir aufsagte.
Mindestens ein halbes Jahr lang habe ich sie am Abend gelesen und gesprochen, fühlte mich zunehmend verbundener, gleichzeitig auch tiefer erreicht und fragte mich, was alles aus ihrer
Lebensgeschichte darunterliegen mag. Diese Gedichte haben für mich etwas sehr Existentielles – sich dem Leben, den Herausforderungen zu stellen.
In einigen Gedichten glaubte ich ihre ambivalente Beziehung zu Martin Heidegger zu erkennen: „Das Alte kommt und gibt dir nochmals das Geleit“. In diesem Vierzeiler schafft es das lyrische Ich,
trotz allem seinen Blick abzuwenden.
Auch Stimmungen ihrer und der Geschichte der jüdischen Menschen während der Nazibarberei teilen sich zwischen so vielen Zeilen mit, ohne dabei ausdrücklich angesprochen zu werden. Zeilen,
die dem Alltag aus Schmerz und Verzweiflung, Trauer und Entsetzen eine Form geben und dabei keinen Trost, sondern Zuversicht vermitteln.
Viele dieser poetischen Texte enthalten für mich so etwas wie eine magische Kraft, z.B. wenn Hannah Arendt in einem Gedicht den „Staub“ als das Vergangene und Vergängliche nicht nur
lebendig, sondern es zur Flamme werden lässt – ich verstehe es so: es ans Licht, es zum Leuchten bringt und damit sichtbar macht. Und in einem Gedicht erkennt sie das mögliche Unsterblichsein in dem wieder, was sterbliche Hände gemacht haben.
So heißt es z.B. in den letzten Zeilen ihres Gedichts „Abschied“:
So lasst mich, o schwebende Tage, die Hände Euch reichen.
Ihr verliert mich nicht. Ich lass Euch zum Zeichen
Dies Blatt und die Flamme zurück.
Zwischen all dem Verdichteten erlebe ich so viel Offenes und zu sich selbst Bekennendes, als hätte sie sich selbst auch damit gehalten und innerlich gefestigt und erst dann ganz Persönliches gezeigt, ihre Schale geöffnet, wenn sie es in sich gut geschützt wusste. Wie in dem folgenden Gedicht:
Dicht verdichtet das Gedicht,
schützt den Kern vor bösen Sinnen.
Schale, wenn der Kern durchbricht,
weis’ der Welt ein dichtes Innen.
Zwischenzeitlich las ich andere Bücher, aber ihr Gedichtband lag noch bereit. Ich sagte mir das eine oder andere Gedicht immer mal wieder auf. Und seit dem Sommer lese ich wieder darin, auch Gedichte, die ich vorher überschlagen hatte; vertraute, bekannte, aber auch neue Räume tun sich mir auf. Die Tiefe der Texte werde ich wohl nie ergründen – aber geht’s darum?
Zwischendurch wundere ich mich immer wieder, dass ich diese Texte trotz der darunter liegenden z.T. aufwühlenden Themen, zur Nacht lese und durchaus schlafen kann.
Ingritt Sachse 
September
2024
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