
Adler,
Dieter: The
Missing Manual. Das
Praxishandbuch der weniger bekannten und unbekannten
psychotherapeutischen Interventionen. 551
Seiten, Netzwerkverlag des deutschen Psychotherapeuten Netzwerkes
DPNW, 2021
Oh
nee! Nicht schon wieder ein Manual! Also erst einmal weggelegt.
Sollte es tatsächlich so sein, dass der Initiator und Begründer
des „Psychotherapeuten Netzwerkes“ den Verstand verloren
hat und sich nunmehr an den Mainstream hängt?
Der Vorsitzende des einzigen Psychotherapeutenverbandes, der sich
nicht mit der Umsetzung von Vorgaben – woher auch immer –
begnügt, sondern fachlich, menschlich und vor allem hinsichtlich
Datenschutz und Wahrung des höchsten Gutes im ärztlichen
und psychotherapeutischen Behandler:innenspektrum, der
Schweigepflicht, engagiert; der bringt jetzt ein Manual auf den
Buchmarkt?
Ursprünglich versteht mensch unter einem Manual die mit den
Händen spielbare Klaviatur einer Orgel. Vom spätlateinischen
manualis, zur Hand gehörend, zu lateinisch manus, Hand.
Allgemein versteht mensch heute darunter ein Handbuch, das uns
Auskunft darüber gibt, wie Maschinen zu bedienen sind. Es
wird auch verwandt im Sinne von Richtschnur, Leitfaden, Anleitung.
Irgendjemand hat einmal gesagt: „Das Handwerk schätze
ich sehr hoch, aber ich will meine Kunst nicht vom Manual irgendeines
Herstellers bestimmen lassen.“
OK. Es geht Adler auch nicht darum ein Manual vorzulegen, mit dem
mensch Psychotherapie in einem mechanistischen Sinne lernen könnte.
Also nicht so etwas wie: Wenn derie Patient:in dieses Symptom hat
oder jene Persönlichkeitsstörung, dann nehme mensch, mache
mensch… So manch eine manualisierte Behandlungsmethode mutet
genau so an. Psychotherapie ist aber eine Kunst. Danach lernen
Psychotherapeut:innen unglaublich viel; die Anwendung hat jedoch mehr
mit Beziehungsaufnahme, in Kontakt kommen, Einfühlung,
Authentizität, Wachheit, Variabilität, Kreativität,
Lebenserfahrung, innere Lebendigkeit und Wandlungsfähigkeit zu
tun. Nun kann mensch das nicht einfach lernen wie Vokabeln. Aber
irgendwie müssen wir es ja den Aspirant:innen vermitteln.
Lebendige Anschauung, den Erfahreneren auf die Finger schauen ist ein
probates Vorgehen. Hier wird dann theoretisches Wissen lebendig. Und
in diesem Sinne kann ein Manual, wie es Adler vorlegt, für dien
Anfänger:in hilfreich sein.
Adler nennt vielfältige Situationen aus dem Alltag einers
Psychotherapeut:in. So klärt Adler darüber auf, dass wir
nicht jeden Patienten nehmen müssen bzw. können.
Psychotherapie ist eben keine Arbeit an einem Ding, sondern mit einem
Gegenüber und nicht zu allen Mitmenschen haben wir gleichermaßen
Zugang. Das gehört zu einer authentischen psychotherapeutischen
Beziehungsaufnahme, dass wir ehrlich darin sind, folglich auch
Patient:innen nicht behandeln, wenn wir den Zugang nicht finden.
Neben theoretischen Überlegungen kommen vor allem praktische
zum Zuge. Leider spricht Adler – wie allgemein üblich –
von Interventionstechniken,
setzt „therapeutische Kniffe“ immerhin in
Anführungszeichen. Breiten Raum nehmen Schwierigkeiten und
Stolperstellen, also schwierige Situationen und Ausnahmesituationen
ein.
In seiner Grundhaltung fühlt
sich Adler Irvin Yalom nahe, so dass es sofort einleuchtet, wenn
Adler daran gelegen ist, dass ein:e Psychotherapeut:in die eigene
psychotherapeutische Identität findet.
Der psychotherapeutisch erfahrene
Mensch findet hier die eine oder andere Anregung, vieles ist aber
bekannt. Hervorheben möchte ich den „Plauderton“.
Das ist nicht abschätzig gemeint, sondern erleichtert die
Lektüre für Newcomer ungemein. Das Buch ist weder
theorielastig noch besserwisserisch. In der Psychotherapie –
wie auch in der Anleitung von heranwachsenden Kindern durch
deren Eltern – sind Fehler das Gewöhnliche. Eigentlich
passt „Fehler“ nicht so recht, ist eher von fehlender
Abstimmung, bzw. misslungener Abstimmung zu reden. Es kommt dann nur
darauf an, dass derie hinreichend gute Therapeut:in hier korrigieren
kann und bereit ist, den eigenen Beitrag am Misslingen der Abstimmung
zu erkennen und zu offenbaren. Immer wieder haben
Ausbildungskandidat:innen Angst davor, Irrwege einzugestehen oder
entbrennt in Supervisionsgruppen der Wettstreit über die
„richtige“ Vorgehensweise. Da sind Flugpiloten offenbar
schon weiter, die eine „Non-Punishment-Plattform“ haben
sollen. Hier sollen die Piloten ihre Flugfehler genau beschreiben
(die wenigsten führen zum Absturz), wodurch andere profitieren
können (S. 464).
Ein wichtiger Gedanke findet
immer wieder einmal Beachtung: Die fast notorische Angst derie
Psychotherapeut:innen vor Konfrontation, ihre sprichwörtliche
Aggressionshemmung
ja Tendenz zu normopathischem Verhalten. Aggression ist nicht gleich
Destruktion! Adler stellt dies in Zusammenhang mit der Historie der
Theorieentwicklung von der detektivischen, entlarvenden
Vorgehensweise Freuds hin zu den alles verstehenden Ausrichtungen.
Derm Patient:innen alles einfach zu glauben wird dem Geschehen eben
nicht gerecht. Wiederholungszwang, Wiedergutmachungserwartungen,
Verharren in der Schuldzuweisung an die Eltern reichen eben nicht
hin, um den unterbrochenen Werdensgang zu beleben. Es gilt nicht nur
die Patienten ernst zu nehmen, ihnen zu glauben, sie zu unterstützen,
sondern auch dahin zu leiten, die Verantwortung für das eigene
Leben zu übernehmen. Dazu müssen wir ihnen auch unangenehme
Inhalte zumuten, ihren Anteil am Misslingen verdeutlichen. Die
Normopathie zeigt sich aber gerade in dem fehlenden Widerstand der
Therapeut:innen gegen unsinnige und die Arbeit in hohem Maße
behindernde Eingriffe des Staates oder seiner Agenten
(Telematikinfrastruktur), so wie in der immer schmaler werdenden
Gesellschaftskritik aus unseren Reihen. Sigmund Freud, Alfred Adler,
Erich Fromm, Karen Horney, H. S. Sullivan, Josef Rattner, M. und
A. Mitscherlich, H. E. Richter, um nur ein paar zu nennen, hatten
noch dezidierte Gesellschafts- und Kulturkritik. Davon ist heute nur
noch wenig zu hören, scheinen sich die Kolleg:innen dem
Anpassungsdruck zu beugen und sich zusätzlich darauf zu
beschränken, ihre Patient:innen an ein krankmachendes System
anzupassen. Hier lebt die Kritik der 68er wieder auf, die der
Psychotherapie den Vorwurf machte, an bestehende Verhältnisse
anzupassen.
Also für
Ausbildungskandidat:innen sehr zu empfehlen. Und auch die Erfahrenen
können vieles aus ihrem Praxisalltag wiederfinden.
Eine Kritik kann ich mir
jedoch nicht ersparen. Adler nutzt offenbar die KI (künstliche
Intelligenz) oder besser KD (künstliche Dummheit) eines
Diktierprogramms. Das kann mensch natürlich tun, darf sich dabei
aber nicht die Mühe des Korrekturlesens ersparen. Das Buch
wimmelt von Fehlern. Manche
Redundanzen lassen sich sicher nicht vermeiden – aber die
Wiederholung ganzer Absätze? In grauer Vorzeit gab es bei den
Verlagen eine zweifache oder gar dreifache Korrekturlesung, denn
selbst gemachte Irrtümer übersieht mensch in Texten
meist geflissentlich.
Bernd Kuck
Mai
2021
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Oder
in der nächstgelegenen Buchhandlung! So landen die
Steuereinnahmen zumindest in "unserem" Steuersäckel,
was theoretisch eine Investition in Bildung und Erziehung
ermöglichen würde.
In Bonn-Bad Godesberg z.B. in der
Parkbuchhandlung

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