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Schmidt, Gunther: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Carl Auer Verlag, 2004, 496 Seiten.


Hypnosystemisch nennt Gunther Schmidt einen Ansatz, der  seine mehr als zwanzigjährige praktische Arbeit und theoretische Reflektion über systemische und hypnotherapeutische Denk- und Arbeitsansätze  zusammenfügt. Es geht ihm darum, Prozesse, die bisher von den Klienten und Klientinnen und ihrem Beziehungssystem als ' "Probleme" oder "Symptome"  erlebt und bezeichnet wurden, aus einer Kompetenz fokussierenden Perspektive zu beleuchten. Diese lassen sich dann nicht als Defizite, sondern als Vorgänge im Dienste bestimmter Bedürfnisse verstehen. Damit verändert sich die Therapie oder Beratung tiefgreifend. So können Ziele und Aufträge entwickelt werden, die sowohl den bisher bewußten Vorstellungen entsprechen als auch die eher unbewußten Wünsche berücksichtigen, die sich in den Symptomen ausdrücken. Die sogenannten 'Problemseiten' stehen dann nicht mehr im massiven Gegensatz zu den gewünschten 'Lösungsseiten', sondern beide Seiten lassen sich verbinden zu optimierten, zieldienlichen Synergieprozessen. So können bisher als antagonistisch erlebte Kräfte versöhnt und zu einer ganzheitlichen Entwicklung führen. Die romantisierende Wortwahl im Titel des Buches, „Liebesaffären zwischen Problem und Lösung“ will der Autor so verstanden wissen.

Auf 450 Seiten gelingt Schmidt der Brückenschlag zwischen systemischen und hypno-therapeutischen Ansätzen und er zeigt damit eine eigenständige Kombination und eine neue Richtung für Therapie und Beratung auf, die in verschiedenen Kontexten ihre Anwendung findet.  Zwischen beiden Ansätzen – der familientherapeutischen und der durch M. Erickson geprägten hypno-therapeutischen  - bestehen zahlreiche Parallelen sowohl in bezug auf die theoretischen Grundannahmen als auch die daraus abgeleiteten Handlungsstrategien.

Integriert man jedoch beide Therapiekonzepte, verändert sich manch liebgewordene, fast schon als Wahrheit angesehene Annahme und Vorgehensweise in beiden Konzepten. Hier entdeckt der aufmerksame Leser manche Anregung zum Umdenken.

So lehnt Schmidt es beispielsweise ab, 'Trance' und 'Hypnose' allein als einen Zustand zu verstehen, in dem sich jemand passiv-rezeptiv, kataleptisch, tief entspannt, und mit geschlossenen Augen völlig absorbiert erlebt. Für ihn ist das als 'Trance' qualifizierte Erleben durch 'Unwillkürlichkeit' gekennzeichnet : 'Es geschieht ganz unwillkürlich – wie von selbst'. Es sind alltägliche Erlebnisweisen, die auch ohne formelle Tranceinduktion in der Therapie/Beratung und außerhalb geschehen und es geht darum, die Aufmerksamkeit für spontane und günstige Unwillkürlichkeit zu wecken.

Leider aber gibt es nicht nur gewünschte unwillkürliche (unbewußte) Prozesse, sondern auch solche, die sich auch in als machtvoll  erlebten sog.' Symptomen'  äußern und durch rein willkürliches  (bewußtes) Wollen kaum zu beeinflussen sind.  Meist werden sie durch den willkürlichen (bewußten) Teil des Erlebens abgewertet und bekämpft. Mit der Zeit verengt sich der Wahrnehmungsfokus und das Erleben ist immer mehr auf das Symptom fixiert (Problemtrance). Eine auf das Symptom gerichtete Therapie verschlimmert häufig das Problem statt es zu lösen, denn unwillkürliche Prozesse laufen meist schneller und wirksamer ab als willkürliche.

Der Autor beschreibt ausführlich wie es gelingt, unwillkürliche Prozesse als wertvolle Kräfte zu nutzen und bezieht sich dabei u.a. auf die Forschungen der modernen Gehirnphysiologie. Dies geschieht durch die gezielte und systematische Arbeit an den  Prozessen der Aufmerksamkeitsfokussierung zur Aktivierung von gewünschten unwillkürlichen Vorgängen. M. Erickson hat wie kein anderer dieses Wissen in seinen Therapien genutzt. Jeder Erlebnisprozeß fokussiert selektiv auf bestimmte Wahrnehmungsmöglichkeiten, andere werden ausgeblendet oder treten zurück. In dem Maße in dem es gelingt, günstige Ausschnitte zu fokussieren, können gleichzeitig ungünstige Erlebnisweisen zurücktreten, kann der Klient/Pat. wachsen und die ungünstigen Aspekte beiseite lassen. So wie sich Pflanzen ohne Wasser, Licht und Nahrung  nicht entfalten können. Aber auch Kompetenzmuster und Ressourcen werden in ähnlicher Weise vernachlässigt. Daher ist es Aufgabe von Therapie und Beratung, so intensiv und systematisch wie möglich, Fokussierungshilfen anzubieten, um diese Potenziale  wieder aufzudecken und zu aktivieren, Suchprozesse auszulösen und eine Um-Fokussierung vorzunehmen.

Um die Aufmerksamkeit in die vom Klienten gewünschte Richtung zu lenken, ist es unerläßlich, diese konkret zu veranschaulichen. Die detaillierte Zielbestimmung ist daher eine erste zentrale Aufgabe in Therapie und Beratung. Je klarer und differenzierter das Ziel beschrieben wird, desto früher und wirksamer kann eine Veränderung in die gewünschte Richtung erfolgen. Ziele müssen sinnlich erfahrbar, realistisch und selbst erreichbar sein. An die Stelle einer verneinenden Beschreibung des Zielzustands  z.B. "Die Angst soll weg !" tritt die Vorstellung von dem Zustand, der erreicht werden soll: statt "weg von" entsteht ein Vorstellung 'hin zu etwas'! Für Klienten ist es oft sehr schwer, die passenden sprachlichen Formulierungen zu finden so sehr sind sie vom Negativen absorbiert. Sie haben meist lediglich ein intuitiv ahnendes und nur selten ein kognitiv bewußt klares Bild davon. Dies zu konkretisieren erfordert eine optimal wertschätzende Kooperation zwischen beiden Anteilen (der bewußt/ willkürlichen und der unbewußt/unwillkürlichen) und natürlich auch zwischen Therapeut/Berater und KlientIn. Der Vergleich der Problem- mit den Lösungsmustern führt zu einer komplexen Kosten-Nutzenanalyse und häufig schwierigen Ambivalenzen und es ist notwendig, aus den Widersprüchlichkeiten eine optimale Zielbalance herauszuarbeiten. Auch diese sind konstruktiv zu utilisieren.

Eine Entwicklung im Sinne der Zielsetzung kann auch systemisch durch Muster relevanter Bezugspersonen beeinflußt werden, die den Klienten in der  bisherigen Rolle festschreiben und neue Fokussierungen erschweren oder unmöglich machen. Hier kommt das umfangreiche Instrumentarium der Systemiker zum Einsatz in Ergänzung zu den hypno-therapeutischen Verfahren.

Für Psychotherapeuten/Berater, die mit systemischen und hypnotherapeutischen Verfahren vertraut sind, ist der Teil des Buches von Gunther Schmidt von besonderem Interesse, in dem er die Erweiterungs- bzw. Änderungsaspekte beider Verfahren detailliert aufzeigt und deutlich macht, wie das äußerst intensive Fokussierungssystem in Therapie und Beratung im Sinne der gewünschten Veränderung nutzbar wird.

Besonders lesenswert für Praktiker ist der zweite Teil des Buches, mit dem Schmidt sich den verschiedenen Anwendungsfeldern zuwendet.
Im Mittelpunkt des Kapitels über Psychosebehandlung wird ausgeführt, wie die Dissoziationsfähigkeit des Patienten genutzt werden kann, um seine (!) Lösungsressourcen zugängig zu machen und wie die TherapeutIn zur "AgentIn der Normalität" werden kann.

Im Abschnitt über Sucht wird der sog. Rückfall dahingehend betrachtet, wie dieser zu einer Quelle wertvoller Informationen werden kann und was dabei auf seiten des Therapeuten zu beachten ist.

Bei Depressionen soll der selbst gemachte Erwartungsdruck durch starke selbst kontrollierende Interventionen, (sich zusammenreißen, etc…)  ersetzt werden, durch das Endecken neuer Gestaltungsmöglichkeiten und durch ein wertschätzendes Verständnis des Symptoms als Informationsquelle. Dies führt sogar zu der Erkenntnis, daß es vielleicht gar nicht nur gut wäre, sie 'wegzumachen', da ein wichtiger 'Leibwächter' eliminiert werden könnte.

Im dritten Teil beleuchtet der Autor die Nutzungsmöglichkeiten des hypno-systemischen Ansatzes in der Team- und Organisationsentwicklung. Hier bezieht sich der Autor auf seine eigene Erfahrung als Chef  eines Krankenhauses, einer 'lernenden Organisation",  in der er sich mit der optimale Balance zwischen Aspekten einer "lernenden und einer wissenden Organisation" beschäftigt. Dabei geht es unter Anwendung hypno-systemischer Vorgehensweisen u.a. um die Interaktionen zwischen Führungskraft und Team und um die Kommunikation auf den verschiedenen Ebenen

Das Buch bietet eine Fülle von Anregungen für Praktiker, die mit systemischen und ericksonschen Verfahren arbeiten und ist zugleich eine Fundgrube für all  jene, die bisher wenig damit vertraut sind und hier eine solide Einführung in ein eigenständiges Verfahren vorfinden. Zugleich ist es eine Aufforderung, diese vielversprechenden Ansätze durch intensive Diskussion weiter zu entwickeln.

Dipl.-Psych. Gisela Dreyer, Bonn

Institut Systeme
Nov. 2004

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Liebesaffären zwischen Problem und Lösung.

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