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Zeitgut, Buchreihe, Kindheiten in Deutschland: Wir wollten leben. Jungend in Deutschland 1939-1945. 40 Berichte, 344 Seiten.


Ungewöhnliche Buchreihe:


Kindheiten in Deutschland von 1918 bis 1945
Zeitzeugen erzählen ihre Geschichte

Volker Stutzer aus Untergriesbach bei Passau wird diesen Tag in seinem Leben nie vergessen. Mehr als 50 Jahre ist es her, aber unauslöschbar in seinem Gedächtnis eingegraben. Kurz vor dem Ende des Weltkriegs: Stutzer war als Soldat abkommandiert, ein wichtiges Dokument, das niemand mehr der Post anzuvertrauen wagte, nach Nürnberg in eine dortige Kaserne zu bringen. Auf dem Hauptbahnhof angekommen, gab es Fliegeralarm. Er begab sich in den Luftschutzraum. Darin war es "dunkel, dreckig, stinkend nach der Angst der Menschen, erfüllt vom Lärm der Schreienden, Weinenden und Kommandierenden", wie er sich erinnert.
Er kam neben einer jungen Luftwaffenhelferin zu sitzen, einem "Blitzmädel", wie diese damals nach dem Blitzsymbol auf ihrem Ärmelabzeichen genannt wurden. Bomben fielen auf den Bahnhof. "Während die Schutzraumwände mit einem schreckenerregenden Geräusch knirschten, rieselte es von der Decke auf die kauernden Menschen herab. Um die matte Birne, die seltsamerweise immer noch Licht abgab, waberte Rauch."
Das Mädchen schrie hell auf und klammerte sich an Stutzer, "lch nahm sie fest in die Arme, und wir drängten uns aneinander wie im Walde verlorene Kinder. Niemand schaute zu uns her, jeder war mit sich selbst beschäftigt". Die beiden jungen Menschen geben sich einen zarten Kuß und schmiegten sich noch fester aneinander.

Trost im Schutzraum

Der Schutzraum hielt stand, und als. die Sirenen Entwarnung heulten und die ersten Menschen zum Ausgang strebten, lockerte das Mädchen langsam seinen Griff. "Sie küßte mich noch einmal, diesmal fester und länger, und hauchte mir ins Ohr: ‘Du hast mich sehr getröstet’, und ich flüsterte zurück: ‘Und du mich erst’. Nie war etwas wahrer gewesen."
Im Tageslicht angekommen, schwang das Mädchen den großen Brotbeutel, den sie in der Hand trug, über ihre Schulter, verabschiedete sich und sagte: "Paß auf dich auf, du wirst noch wo gebraucht". Und sie ging in eine der Ruinenstraßen rund um den Bahnhof, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Der Bericht von Volker Stutzer, der später Fotograf, Redakteur, Schriftsteller und Archivar im Raum Passau wurde, gehört zu 40 bewegenden Berichten von jungen Menschen aus der damaligen Zeit, die jetzt unter dem Titel "Wir wollten leben. Jugend in Deutschland 1939-1945" in Band 5 der Reihe "Zeitgut" im Verlag "JKL Publikationen", Berlin, herausgekommen sind. Das ist ein bewegendes Zeugnis für alle, die die damalige Zeit miterlebt haben, und eine mitreißende und immer ehrliche Dokumentation für junge Menschen, die sich fragen, wie es ihren Eltern und Großeltern in ihrer Jugend gegangen sein mag, was sie erlebt und worauf sie gehofft haben.
"Dieses Buch ist kein Geschichtsbuch, es ergänzt vielmehr die Geschichtsschreibung durch lebendige Bilder aus dem Alltag", schreibt Verleger Jürgen Kleindienst im Vorwort. Die Autoren kommen aus ganz Deutschland und gehören den Jahrgängen 1922 bis 1931 an. Ihre beruflichen Tätigkeiten nach dem Kriege waren sehr unterschiedlich, vom Feuerwehrmann bis zur Geschäftsfrau, aber alle schreiben dermaßen spannend und anschaulich, als ob sie niemals etwas anderes getan hätten.
Der Wunsch, etwas für sich und andere zu bewahren, führt die Hand. Photos von fröhlichen oder nachdenklichen jungen Menschen aus dem Familienalbum der damaligen Zeit, die den Geschichten jeweils beigefügt sind, zwingen zu langem Hinschauen. So sahen sie also damals aus, die jungen Menschen, deren junge Jahre in Diktatur und Krieg mündeten. Auch sie "wollten leben".
Die in Maintal/Hessen lebende Magda Riedel, eine der Autorinnen von "Wir wollten leben", schildert in ihrem Beitrag "Sinneswandel" sehr feinfühlig das Jahr 1942 in ihrem Leben, als sie 24 wurde und ihr Pflichtjahr abzuleisten hatte. Ideologie-gläubig und unternehmungslustig will sie sich zur Lehrkraft im eroberten Polen ausbilden lassen ("Der Führer ruft, und pflichtbewußt werde ich ihm folgen.").
Sie landet in Danzig, gibt ihren ursprünglichen Einsatzwunsch auf und wird Arzthelferin. Mit ihrer Chefin wird sie zu einem Frühlingsfest des Wachbataillons im KZ-Stutthof eingeladen. Sie nutzt die Gelegenheit, um einen unbeobachteten Blick in eine der Häftlingsbaracken zu tun. "lch erstarrte zu Stein, nur mühsam konnte ich einen Schrei unterdrücken, bittere Tränen verdunkelten meine Augen und wie von Furien gejagt schoß ich aus dem Lager und ging heim."

Erstarrte Seele

Ihr Hauswirt fragt sie: "Nanu, ist dir etwas zugestoßen, Magda? Du machst so ein kummervolles Gesicht. "Und sie erwidert: "0h ja, meine Seele ist zu einem Eisklumpen erstarrt, nachdem ich mich im Lager Stutthof umschauen konnte."

Dem JKL-Verlag ist mit der Reihe "Zeitgut". ein großer Wurf gelungen. Die Beiträge sind auch deshalb so lesenswert, weil die Autoren keine Rechtfertigung von Lebensabschnitten anstreben, sondern einfach aufschreiben, was sie damals gefühlt, gedacht, gehofft und erlebt haben. Das ist ganz und gar nicht unpolitisch, sondern mit einem selten gelesenen Bekennermut geschrieben, auch da, wo Irrtümer geschildert werden.
Heinz Brockert
(aus Sonntagsblatt, Evangelische Wochenzeitung für Bayern, 1999)

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Wir wollten leben
Wir wollten leben. Jugend in Deutschland 1939-1945

Vier weitere Bände geben eine Topographie des Jungseins in Deutschland in diesem Jahrhundert:



Stöckchen-Hiebe

Pimpfe, Mädels & andere Kinder

Gebrannte Kinder,
Kindheit in Deutschland 1939-1945

Nachkriegs-Kinder,
Kindheit in Deutschland 1945-1950

Ebenfalls erschienen sind:

Schlüssel-Kinder
Schlüssel-Kinder
Kindheit in Deutschland
1950-1960
Gebrannte Kinder
Gebrannte Kinder
(zweiter Teil)
Kindheit in Deutschland
1939-1945
Hungern und hoffen.
Hungern und hoffen.
Jugend in Deutschland
1939-1945
Täglich Krieg</A>
Täglich Krieg,
Deutschland 1939-1945
Und weiter geht es doch
Und weiter geht es doch,
Deutschland 1945-1950
Lebertran
Lebertran und Chewing Gum,
Kindheit in Deutschland
1945-1950

Von hier nach drüben,
Grenzgänge und Reisen
1949-1989
Heil Hitler, Herr Lehrer!
Heil Hitler, Herr Lehrer!
Kindheitserinnerungen
Deutschland 1933-1939
Wir sollten Helden sein.
Wir sollten Helden sein.
Jugend in Deutschland
1939-1945

Oder in der nächstgelegenen Buchhandlung! So landen die Steuereinnahmen zumindest in "unserem" Steuersäckel, was theoretisch eine Investition in Bildung und Erziehung ermöglichen würde.
In Bonn-Bad Godesberg z.B. in der Parkbuchhandlung

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