Willi, Jürg: Psychologie
der Liebe. Stuttgart 2002, Klett-Cotta, , 326 Seiten.
Willi legt hier die Summa seiner bisherigen Beschäftigung mit der
Paarbeziehung und deren Therapie vor. Nach dem Kollusionsmodell, der
"Therapie der Zweierbeziehung", der Frage, "Was hält Paare
zusammen" und schließlich dem Co-Evolutions-Ansatz, entdeckt Willi die
Bedeutung der Liebe für die Zweierbeziehung. Der Titel allerdings ist bereits
irreführend, denn über die Psychologie der Liebe erfahren wir recht wenig.
Wie immer schreibt Willi flüssig und gut lesbar, was das Buch für den
Laien gut geeignet macht, für FachkollegInnen bietet es eigentlich nicht viel
Neues, doch aber Verwunderliches. So wundert man sich, dass die Liebe in ihrer
Bedeutung für die Paarbeziehung von Willi neu entdeckt wurde, er sogar der
Ansicht ist, dass das Thema unter Fachkollegen nicht besonders beachtet wurde.
Es mag ja sein, dass in der jüngeren Vergangenheit der 'Egotrip' in der
westlichen Kultur im Vordergrund stand und damit zentrale Werte, die - zugegeben
eher in wertorientierten Ansätzen - eigentlich immer mitschwangen, nicht eigens
beachtet und doch von den meisten gewünscht und gesucht wurden. Aber dass das
Thema Liebe nicht behandelt wurde? Man denke nur an den Renner "Die Kunst
des Liebens" von Erich Fromm, in dem zwar viele irrtümlich eine erotische Anleitung
ähnlich dem Kamasutra vermuteten, immerhin aber wichtige Kriterien enthalten
sind, an denen überhaupt die Liebesfähigkeit eines Menschen ermessen
werden kann. Ebenso wärmt er Konzepte von Fritz Riemann wieder auf - ohne ihn
allerdings zu nennen. Und immerhin hat Josef Rattner dem Thema immer wieder Raum
gegeben (z.B. in "Liebe in Partnerschaft und Ehe"),
es sogar als Stichwort in sein "Kritisches Wörterbuch der
Tiefenpsychologie für Anfänger und Fortgeschrittene" aufgenommen.
Vielleicht ist hier Willis Lauschen am Puls der Zeit ihm selbst zum Verhängnis
geworden, indem er aus Gründen der 'Aktualität' Themen nicht aufgriff, die
gerade nicht en vogue waren. Das gilt auch für seinen Ansatz der Co-Evolution
und seinen ökologischen Ansatz. Eher alter Wein in neuen Schläuchen.
Und nun kommt die konservative Wende? Jedenfalls ist es befremdlich, wenn
Willi nun auch noch auf den Zug der Wiederentdeckung der Religion aufspringt. Er
versucht zwar, den geneigten Leser mit allzu kritischer Einstellung dazu zu
bewegen, dieses Kapitel einfach zu überspringen, kann aber gleichwohl nicht
nachvollziehbar machen, wieso man lieben lernen sollte auf dem Umweg über einen
Gott, dessen Existenz durchaus zweifelhaft ist. Weshalb es denn auch ganz
treffend heißt: "Die Beziehung zum Menschen ist das eigentliche Gleichnis
der Beziehung zu Gott" (S. 110). Und man möchte meinen, dass die
Enttäuschungen und Irrwege in den zwischenmenschlichen Beziehungen in die
Gottesvorstellung treiben. Gleichwohl ist es religionspsychologisch sehr
interessant, dass die Mystiker des Mittelalters durchaus dem Eros und der
Sexualität freundlicher gesinnt waren als die späteren christlichen Kirchen.
Und wieso soll es in den Vorwürfen der Partner eine verborgene göttliche
Offenbarung geben? "Diese Vorwürfe haben oft einen tieferen Sinn, der sich
zwar auch normalpsychologisch erklären läßt und eine religiöse Deutung
nicht aufdrängt. Doch wer sich einer religiösen alltäglichen Offenbarung zu
öffnen bereit ist, kann die Liebe des Partners hintergründiger erleben. Das
Wirken Gottes wird am ehesten im Unerwarteten erfahren." (S. 117) Da möchte man,
frei nach Sigmund Freud ausrufen: Und bei solchen komplexen Problemen kommen sie
uns mit dem Eia Popeia der Religion! Und wie die Anekdote berichtet, soll
Emanuel Kant den Gottesglauben in die Kritik der praktischen Vernunft
aufgenommen haben, damit sein Diener Lampe auch etwas hat, woran er sich halten
kann. Auf dieser konservativen Schiene
fährt auch die Wiederbelebung des Jungschen Animus/Anima-Konzeptes, zumindest
in der Konnotation einer "natürlichen" Geschlechterdifferenz, soweit
sie über das Biologische hinausgeht. Was da "natürlich" ist, wissen
wir doch kaum, blicken wir immerhin auf mehr als 2000 Jahre patriarchalisch
geprägte Kultur zurück.
Bliebe denn noch die Herausforderung zur Entwicklung in der Paarbeziehung.
Auch dies eigentlich eine alte Entdeckung, dass Beziehungen auf einem bestimmten
Entwicklungsstand eingegangen werden und so - ob neurotisch genannt oder
nicht - irgendwie passen. Kommen nun Anstöße von außen oder auch von innen,
dann wird ein Gleichgewicht gestört, das Entwicklung der Protagonisten
notwendig macht. Und wenn es um die Selbstverwirklichung im Prozeß einer
Liebesbeziehung geht, die Willi als "persönliche Entwicklungsaufgabe"
darstellt, dann ist das sicher richtig und wurde von Alfred Adler zu einer der
vier Lebensaufgaben schlechthin gerechnet. Nur taucht Adler nicht einmal im
Literaturverzeichnis auf, wie schon die anderen genannten Autoren auch nicht.
Nun, man kann nicht ständig Neues produzieren. Aber dann soll man auch
seine Quellen nennen.
Trotzdem ist das Buch Paaren durchaus zu empfehlen. Willi beschreibt sehr schön
die Phasen der Liebesbeziehung, weist auf Hürden und Engpässe hin. Die Sprache
ist manchmal zu sehr dem Wirtschaftsleben entlehnt, wenn von
"Beziehungskonto" und "diversifizieren" die Rede ist:
Paarbeziehung als Schweizer Aktiendepot?
Wir erfahren noch etwas über die Wirksamkeit von Paartherapie, wozu
es noch wenige Studien gibt. Diese lassen jedoch darauf schließen, dass die
Zufriedenheit in einer Paarbeziehung wesentlich zur Gesunderhaltung der Teile
beitragen, wie auch selbstzerstörerische Beziehungen wesentlich zur
Entwicklung psychischer und psychosomatischer Krankheiten beitragen. Unter
diesem Gesichtspunkt ist sicherlich die Frage interessant, ob die Paartherapie
deshalb schon in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden
sollte? Zumindest macht es deutlich, wie wichtig es ist, verantwortlich und
pfleglich mit dem Du umzugehen, damit auch das Ich keinen Schaden nimmt - und
umgekehrt.
Bernd Kuck, Bonn
© PPFI, B. Kuck
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