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Weißmann, Eva: Lernen im Gleichgewicht. Wie Bewegung die emotionale und kognitive Entwicklung fördert.. Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2016, 268 Seiten, Paperback Großoktav.


Evolutionär betrachtet ist der Mensch ein Läufer. Tatsächlich aber sitzt er die meiste Zeit im Tag. Die ersten extrauterinen Erfahrungen sind häufig dazu geeignet, den Säugling aus der Balance zu bringen. Dabei beginnt hier bereits der Tanz von Führen und Folgen, lernt der Säugling seinen Leib kennen, der nun der Schwerkraft ausgesetzt ist. Hier werden die ersten Beziehungserfahrungen gemacht. Ist das Wechseln der Windeln ein spielerischer und kommunikativer, lebendiger Akt oder erinnert dies eher an Hühner, die „an einem Haken hängen“ (23). Die vorsprachliche Zeit ist die Zeit, in der Mitteilungen und Erfahrungen ausdrücklich über den Leib wahrgenommen und ausgedrückt werden. Resonanz und Empathie sind die Zugänge zum Lebendigen. Wer aber selbst dem Leib entfremdet ist, der kann hier nicht mitschwingen.

Damit wir uns recht verstehen: Eva Weißmann geht es nicht um Gymnastik, Gelenkigkeit oder gar Leistungssport, sondern um „Bewegungskompetenz“, die durch „Kinästhetik“, der „Wahrnehmung der eigenen Bewegung“, bereits in frühen Jahren die Grundlage für Achtsamkeit, letztlich für eine lebensnahe Intelligenz legt. Albert Einstein sprach davon, dass Lernen Erfahrung ist, alles andere sei schlicht Information. Zum Erfahrungslernen braucht es aber mehr als nur ein Gehirn, dazu braucht es den ganzen Leib. Das machte der Betreiber eines Klettergartens einmal deutlich: Ein zehnjähriger Junge mit ADHS sollte an einem Training im Klettergarten teilnehmen. Er meinte, das kenne er schon alles. Befragt woher, gab er als Quelle das Internet an, in dem er schon häufig mittels Joystic im Klettergarten unterwegs gewesen sei. Es wundert uns nicht, dass dieser Junge die grundlegenden Fertigkeiten balancierter Bewegung vermissen ließ.

Das Gehirn als Beziehungsorgan (Thomas Fuchs) entwickelt sich in der interaktionellen Erfahrung, zu der das zwischenmenschlichen Mitsein ebenso gehört, wie das Wir der interagierenden Leiber. Die Achtsamkeit in der Berührung und im Gehaltenwerden fördert ein existenzielles Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, aus der ein lernbegeistertes Leben erwachsen kann.

Wie das in der Schule z.B. aussehen kann, ist in dem Dokumentarfilm „Tomorrow“ am Beispiel finnischer Schulen zu sehen. Hier lernen die Kinder viel in Bewegung, sowohl im Unterricht als auch an herausforderndem Spielgerät in den Pausen. Frau Weißmann streut immer wieder kleine „Übungen“ ein, die es den LeserInnen nachvollziehbar machen, wie z.B. Bewegung und Fertigkeit im Schreiben zusammenhängen (234f).

Unter anderem stützt sich Frau Weißmann auch auf Winnicott, dem kreativen und körperaktiven englischen Kinderanalytiker. Er war ein Kritiker der Überwertigkeit analytischer Intellektualität:

Es gehe nicht um Klugheit, die sich nur im Kopf abspielt. Zu dem abgespaltenen Intellekt bei „cleveren“ Analytikern meint er, das „Im-Kopf-Sein“ verhindere eine heilende und kreative Arbeit für Analytiker und Patient (137).

Und so tanzt denn Frau Weißmann durch umfangreiche Literatur und verschiedene körperorientierte Ansätze (Feldenkrais, Infant Handling, Body-Mind-Centering) und kombiniert dies mit philosophischen Einsprengseln. Das macht den Text etwas unsystematisch. Man müsse das Buch auch nicht von Anfang bis Ende lesen, könne irgendwo einsteigen – die häufigen Querverweise auf frühere oder spätere Kapitel sind dann doch ein wenig störend, ebenso die Verweise auf ihre Internetseiten. Wer aber Freude an Bewegung hat, der geht gerne mit. Und auf YouToube kann auch gesehen werden, wie freudig und lebendig Kontaktimprovisation sein kann (http://www.youtube.com/watch?v=zkreiRt8GEY.

 

Bernd Kuck      
September 2016

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