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Ware Bronnie: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Goldmann Verlag, München 2015, 351 Seiten.


Anfangs musste ich mich an den Stil gewöhnen. Es ist ein recht einfacher Erzählstil, wie man ihn auch aus amerikanischen Büchern kennt. „George, der ein unglaublich lieber Mann war“ (55); „Doch diese Welle von Liebe, die mich jetzt durchflutete“ (57) usw. Und schließlich ist sehr viel von der Autorin die Rede. Die klassische Selbstfindung. Von der Bankangestellten zur Pflegerin Sterbender, zur Songwriterin, zur Lehrerin des Songwriting im Frauengefängnis, zur Songwriterin.

Wer sich, wie ich, erst einmal an den schlichten Stil gewöhnt hat, der kommt nun langsam mit den Inhalten in Kontakt. Am ehesten könnte die Beschreibung ihres Lebensweges als eine Art moderner Bildungsroman gelten. Immerhin begegnet Frau Ware in ihrer pflegerischen Tätigkeit sterbenden Menschen, die eben einiges bedauern, was sie nicht gelebt haben. Es wird viel geweint, aber auch gelacht und es finden „wunderbare“ Begegnungen statt. Dieser nicht intellektualistische Stil könnte die Abwehr auf intellektueller Ebene wecken – oder derie** Leser*innen kommen plötzlich in eine fragende Haltung bezüglich ihres eigenen Lebens. Dass der Text ein „Spiegel-Bestseller“ wurde, hat vermutlich damit zu tun, dass die Menschen unserer Zeit immer selbstentfremdeter leben; mehr vereinsamen – wenn vielleicht nicht äußerlich, weil man „viel Spaß“ mit anderen hat, aber auch häufig die Arbeitsstelle wechselt und wenn der Spaß vorbei ist feststellen könnte, dass fran eigentlich keine Freunde hat.

Nun, Bronnie Ware startet ihren Selbstfindungstripp, indem sie die Bank verlässt, viel in der Welt herum kommt und schließlich feststellen muss, dass sie sich und ihren inneren Konflikten nicht entkommen kann, und so wieder in Ihrem Geburtsland Australien landet.

Die fünf Dinge, die sie bei den sterbenden Menschen lernt (die sind übrigens überwiegend gut ‚betucht‘, sonst könnten sie sich keine Privatpflegerin leisten. Am Rande erwähnt sie die fürchterlichen Zustände in Pflegeheimen, offenbar in Australien nicht anders als bei uns.) Sie lernt also: 1. „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarten“; 2. „Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet“; 3. „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu geben“; 4. „Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten“ und 5. „Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude gegönnt“.

Alles wichtige Aspekte, die jeden Leser*in nachdenklich stimmen kann. Frau Ware macht auch kein Hehl daraus, dass Lebenszufriedenheit nicht so einfach zu erringen ist, besonders, wenn fran sich selbst treu bleiben will. Das Ausmaß der inneren Konflikte, die damit aufkommen können, deutet sie vergleichsweise nur an. Das macht den Text zu einem Ratgeber mit etwas Küchenpsychologie, einem Hauch von Esoterik und was heute gerne angepriesen wird: Wiederfinden der Spiritualität (was immer das dann heißt).

Das ist alles nicht einfach falsch. Nur, wenn der Mensch nicht mehr weiter weiß, mit seinem Latein am Ende ist, dann soll es die Spiritualität richten oder auch der Glaube an eine göttliche Instanz? Dabei ist doch nicht genug Liebe in der Welt, um davon an ein wahrscheinlich nicht existierendes Wesen etwas abgeben zu können (frei nach Feuerbach). Ok, sie plädiert nicht einfach für den göttlichen Segen; es ist schon der Mensch, der die Liebe in die Welt bringen muss, die Liebe für das Lebendige. Kurz: Der Mensch muss natürlich für sein Leben einen Sinn finden – und die Sinnentleerung hat doch erheblich zugenommen.

Bronnie Ware bleibt dabei für dien Leser*in undurchsichtig. Sie deutet nur an, dass sie aus einer eher chaotischen Familie stammt – was immer das heißt. Vater und Mutter waren anscheinend eher mit sich und ihren Streitereien beschäftigt. Aber dann idealisiert sie ihre Mutter, mit der sie inzwischen ein "wunderbares Verhältnis" hat. Das sei ihr gegönnt. Nur, wie sie dahin gekommen ist, bleibt eher dunkel. Eine Art Trigger scheint ein Streit eines Paares in ihrer Nachbarschaft zu sein, der sie in das Trauma der eigenen Kindheit katapultiert.

Leider erfahren wir über ihre inneren Konflikte nicht allzu viel. Es wächst jedoch der Eindruck, dass sie mit ihrer Lebensgeschichte den zentralen Konflikten ausweicht. Im klassischen Sinne durch Reaktionsbildung: Die Zuwendung und Fürsorge, die sie mutmaßlich selbst als Kind nie erfahren hat, lässt sie den Sterbenden zuteil werden. Da kann sie tatsächlich sehr Hilfreiches bewirken. Zugleich trägt sie aber die „Elterngeneration“ zu Grabe, versucht in der Pflege die Anerkennung zu erhalten, die ihr eben verwehrt war. Kein Fehler an sich. Kommt derie Mensch dann an den Punkt, wo die Kompensation nicht mehr trägt, dann kann ersie in eine heftige Krise geraten. Dies genau erfährt Frau Ware, als sie bemerkt, dass sie einem Ausbrennen entgegen steuert, nach acht Jahren Sterbebegleitung die Batterien leer sind. Sie sucht sich ein ruhiges Plätzchen, möchte wieder heimisch werden (sie lebte sonst im Auto oder betrieb Housesitting) und findet auch ein Plätzchen, das ganz ihren Vorstellungen entspricht. Und hier ereilt sie dann eine tiefe Depression – die sie im übrigen gut und mitvollziehbar beschreibt. Ganz im Winnicottschen Sinne gerät sie in Konfrontation mit ihrem „falschen Selbst“. Ihr Selbstwertgefühl ist völlig am Boden, sie hat das Gefühl, in ein abgrundtiefes Nichts zu fallen, woraus einzig der Suizid ihr noch ein Ausweg zu sein scheint. Sie kann dann ein wenig Hilfe von einer Sozialarbeiterin annehmen, die sie durchaus konfrontiert. Im Grunde regrediert sie auf die Stufe eines hilflosen Kindes, dass Versorgung benötigt.

Letztlich gibt es dann doch einen guten Freund, der sie durch seine Beharrlichkeit vor dem Suizid bewahren kann. Sie wandelt auf des Messers Schneide, stellt sich letztlich ihren Herausforderungen. Es folgen dann leider eine ganze Reihe von Allgemeinplätzen. Der wahre innere Konflikt wird nicht benannt. Und doch gehört sie scheints zu den Ausnahmeexistenzen, die einen Ausweg auch ohne Psychotherapie finden – es ist ihr sehr zu wünschen.

**Hier experimentiere ich mit Artikeln, die beide (vielleicht sogar alle) Geschlechter mit einbeziehen.

Bernd Kuck      
Januar2018

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5 Dinge, die Sterbende bereuen

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