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Vanderbeke, Birgit: Ich sehe was, was Du nicht siehst. Büchergilde Gutenberg, 1999, 100 Seiten.


Es ist ein bemerkenswertes Buch. Tief, mit dem Meisten zwischen den Zeilen, mit Humor und einer leicht kräuseligen, manchmal glatten Wasseroberfläche, die silbern und dunkel glänzt. Die Autorin spricht mit einer ungeheuren Stärke und Zartheit menschliches Sein an. Alles scheint zu plätschern, aber gleichzeitig ist klar, dass hier nichts plätschernd daherkommt. Das meiste sehen wir nicht. Wir glauben zu sehen. Mit einem gehörig räumlichen Abstand sehen wir bestimmte Dinge. Und sehen diese vollkommen anders oder gar nicht mehr, wenn wir den Dingen, den Zuständen nahe kommen oder sie uns auf den Pelz rücken, wenn wir überhaupt einen haben. Da nützen weder reaktionäre Vorurteile, ausgedrückt durch die Angst vor ‚Zigeunern’, die ganz sicher einbrechen werden; noch helfen „linke Toscana-Vorurteile“ weiter: die Mär von den paradiesischen Zuständen, wenn jemand Bekanntes sein Wohndomizil nach Südfrankreich verlegt und darum beneidet wird. Es ist ein intelligentes Buch. Es sagt auch, man kann sich selbst nicht entkommen, aber sich vielleicht in neuen, anderen Umständen neu und anders erfahren. Sich selbst und die Umwelt. Das, was groß schien schrumpft mit einiger Gewissheit; das, woran wir nie dachten, dass es das gibt, tritt plötzlich ein, türmt sich auf: Ich sehe was, was ich bisher nicht sah, was du nicht siehst.

Über das Buch inhaltlich zu sprechen, scheint (mir) fast unmöglich. Es blieben nur die Knochen übrig von einem guten Essen. Oder ich müsste alles sagen. Aber so viel sei gesagt: Eine Ich-Erzählerin blickt zurück. Erzählt von ihrem Wendepunkt. „Man kann einfach weggehen, dachte ich. Entweder man geht ein bisschen weg, oder man geht richtig weg, oder man bleibt.“ Dass es ein Buch auch nach der deutsch-deutschen Wende ist, scheint kein Zufall.

Es sind keine druckfertigen Erinnerungen, sie gleiten, bleiben manchmal in ihren Sätzen unvollendet, wie es mit Erinnerungen eben ist. Manchmal strömen sie so wie herabfließendes Wasser in einem Bach. Dann wieder stocken sie, stauen sich, kreisen, steigen, um dann gurgelnd abzufließen. Mit der Zeit und wie nebenbei erfährt der Leser so einiges aus dem Leben der Ich-Erzählerin. Was zu Beginn noch Fragen sind, sind dann keine mehr, sondern andere, neue.

Es ist ein Buch über Beziehungen. Beziehungen in vielerlei Hinsicht. Über die Beziehung des Menschen – der Icherzählerin - zu sich selbst. Beziehung zu allen und allem. Zu den Menschen, zu den Bekannten, den sogenannten alten Freunden, den neuen Nachbarn und den neuen Dorfbewohnern, zum Partner, zum Kind, zu den Tieren, den Haustieren - den von den Menschen anerkannten und den „selbst ernannten“. Beziehung zur Natur. Zur Kultur. Zur Gesellschaft. Zu den Bräuchen und Traditionen im eigenen und im neuen Land. Ein Buch über Beziehungen, die sich verändern. Letztlich ist es ein Buch über die Beziehung zum Leben........ 

Ingritt Sachse    
Mai 2003

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Ich sehe was, was du nicht siehst. 
(Fischer Taschenbuch)

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