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Trautmann-Voigt,Sabine; Moll, Monika: Bindung in Bewegung. Konzept und Leitlinien für eine psychodynamisch fundierte Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie. Psychosozial-Verlag, Gießen 2011. 434 Seiten.


Das Triebkonzept Freuds als basale Motivation des Kindes hat sich schon seit längerem überlebt. Heutzutage wird von fünf motivationalen Systemen ausgegangen: zur Regulierung physiologischer Bedürfnisse, zur Regulierung von Bindungsbedürfnissen, das Bedürfnis nach Exploration und Selbstbehauptung, Rückzugsbedürfnisse (auch Ausdruck von Aversionen, die jedoch nicht mit Aggression und Gewalt gleichzusetzen sind) und Bedürfnisse nach sinnlichem Genuss (berühren und streicheln, halten und tragen). Ganz wichtig ist, dass die Eltern einfühlsam den aktuellen "Systemzustand" (state) ihres Kindes erkennen, der vom Tiefschlaf über die wache Aufmerksamkeit bis zum "Schreistatus" reicht. Feinfühlige Mütter beobachten die Signale ihres Säuglings genau, erschließen den körpersprachlich ausgedrückten vermeintlichen Wunsch zutreffend und reagieren prompt und angemessen mit einer körpersprachlichen oder verbalen Handlung.

Werden Bindungswünsche nicht ausreichend befriedigt, werden die in späteren Phasen auftauchenden Verselbstständigungswünsche vermieden. Später werden Trennung und Verlust übermäßig gefürchtet oder erlitten. Frühe Beziehungskonflikte entstehen aus unerfüllten Bedürfnissen, die in negative Erfahrungen eingebettet sind. Defizitäre Beziehungserfahrungen beeinträchtigen den strukturellen Persönlichkeitsaufbau.

Der erste Teil von gut 150 Seiten rekapituliert die bisherigen Erkenntnisse zum Bindungsverhalten von Säuglingen und Kleinkindern, die weit über das ursprüngliche psychodynamische Modell Freuds und Margret Mahlers hinausgehen. Im zweiten Teil stellen die Autorinnen ihr neues, interaktionsorientiertes diagnostisches Modell vor, das Bonner Modell der Interaktionsanalyse (BMIA). Das Besondere des frühen körpersprachlichen Ausdrucks wird dabei speziell berücksichtigt.
Dieser zweite Teil enthält zugleich Leitlinien für die Therapie von Eltern mit ihren Säuglingen.

Interaktionsbeobachtungen erfordern Videoaufnahmen, die anschließend analysiert werden. Insgesamt liegen der Köln-Bonner Akademie für Psychotherapie (KBAP) das Videomaterial von 82 Mutter-Kind-Paaren vor. Die besondere Schwierigkeit der Auswertung ergibt sich daraus, dass nicht einzelne Sätze analysiert werden, sondern rhythmisch-dynamische Handlungsdialoge. Kapitel 5.3 ist die ausführliche Darstellung des Bonner Modells der Interaktionsanalyse. Überhaupt läuft dieses Werk auf ein Handbuch für die Ausbildung von Kinder-Psychotherapeuten an der KBAP hinaus. Für Eltern ist es nicht geeignet.

Der Therapieansatz ist stark verhaltenstherapeutisch orientiert. Statt direkt an den Abwehrmechanismen der Mütter zu arbeiten und zum Beispiel unbewusste Fantasien über das Kind zu bearbeiten, bevorzugen die Autorinnen, möglichst lösungsorientiert auf die sichtbaren Interaktionsabläufe einzuwirken. Sie versuchen, die Entwicklungsdefizite und Abwehrverhalten des Kindes zu verstehen ebenso wie die in der Körpersprache der Eltern enthaltenen Affekte. Biografische Aspekte der Eltern werden nur einbezogen, sofern sie notwendig erscheinen. Der Fokus liegt auf einer begrenzten Verhaltensänderung in der Familie. Schwierig wird es bei allein erziehenden Eltern, die oftmals zu intuitiver Elternschaft und Feinfühligkeit nicht in der Lage sind, vielmehr selbst bedürftig und überfordert. Die Videoaufnahmen werden gemeinsam angesehen und besprochen. Eine Interaktionsanalyse folgt im Team, in der darauffolgenden Stunde wird das Ergebnis dargestellt. In der fünften Stunde geht es um das weitere Vorgehen, das kann eine Psychotherapie für einen Elternteil sein oder auch eine Paarberatung. Die Eltern-Säuglings-Psychotherapie im engeren Sinne ist nach drei bis fünf Stunden abgeschlossen. Im 7. Kapitel werden zwei klinische Beispiele vorgestellt mit Schwerpunkt auf der Beschreibung der Interaktionsanalyse.

All das berücksichtigt, verbessert sich innerhalb von fünf bis 25 Stunden die Laune aller Beteiligten. Das Kind gnatzt und schreit nicht mehr, die Depression der Mutter und der verständnislose Rückzug des Vaters können aufgehoben werden, die Empathie und die rhythmische Anpassung sowie die Variabilität im gesamten Beziehungsfluss werden verbessert. Meistens sind die Eltern über sich selbst erstaunt, wenn sie sich im Video selbst betrachten.

Das BMIA konnte zeigen, dass die unterschiedlichen Bindungstypen signifikant mit bestimmten Bewegungen im Raum bzw. ihrem Fehlen korrelieren. Die grundlegenden Bindungstypen werden anhand einer ausführlichen Beschreibung einzelner Videosequenzen dargestellt. Dabei findet das sehr unübersichtliche BMMA-Bewegungsprofil Anwendung. Es ist für Laien praktisch nicht zu lesen. Für den Fachmann ergeben sich jedoch hochinteressante Einblicke mit einer Fülle von konkreten Anregungen für die Kindertherapiepraxis. Die zu beachtenden Vorschläge erfordern eine mehrjährige Praxis und sind nichts für den Anfänger. Vielleicht kommt es ohnehin darauf an, sich in der Therapie von der Theorielastlichkeit zu befreien und in einem authentischen zwischenmenschlichen Kontakt all die genannten Perspektiven und Aspekte intuitiv einzusetzen.

PD Dr.Gerald Mackenthun, Berlin
Dezember 2011 email

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Trautmann-Voigt, Moll: Bindung in Bewegung
Bindung in Bewegung

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