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Struck, Erdmute: Der Traum in Theorie und therapeutischer Praxis von Psychoanalyse und Daseinsanalyse, Deutscher Studien Verlag Weinheim 1992.


Der Traum hat nichts von seiner Faszination verloren. Das wundert auch nicht bei einem Phänomen, das jeden betrifft. Der Traum versetzt in Angst und Schrecken, läßt uns erwachen, erfüllt Wünsche und läßt den Träumer in andere Welten eintreten. Seit der modernen Schlafforschung wissen wir, daß das Träumen lebensnotwendig ist. Aber immer wieder versucht der Mensch, die Träume zu Schäumen zu erklären. Mal durch eine wegwischende Handbewegung, dann wieder durch die wissenschaftliche Erklärung, es handle sich lediglich um eine Art "Selbstcheck" des Organismus, wobei es durch den Griff in die falschen "Karteikästen" (moderner: "Dateien") zu absurden Verknüpfungen komme, denen wir erst im Nachhinein einen Sinn unterlegen.

Die Autorin läßt diese leichte Flucht nicht zu. In gründlicher Darstellung legt sie die Freudsche Traumauffassung dar, zeigt, was an ihr immer noch dran ist und gibt Hinweise auf die Weiterentwicklungen von psychoanalytischer Seite (Ich- und Selbstpsychologie). Wurde gerade durch die neueren Entwicklungen der Psychoanalyse die naturwissenschaftliche Fixierung etwas aufgelockert, so fehlte es bislang in der Traumpsychologie an einer gründlichen Rezeption geisteswissenschaftlicher Ausrichtung. Die Daseinsanalyse (Binswanger, Boss) hat eine solche Psychologie vorgelegt und Frau Struck versteht es, deren schwer zugängliche Ausdrucksweise in verständliche Worte zu fassen. Gerade die Daseinsanalyse sieht den Menschen in unauflöslicher Wechselbeziehung zur Welt. Erst die Daseinsanalytik Martin Heideggers vermochte die cartesianische Aufspaltung in Subjekt und Objekt zu überwinden. Für die Traumpsychologie wird damit die Einheit von Wach- und Traumwelt wieder hergestellt. Der Mensch ist immer derselbe, wachend

Und dennoch kann es die Daseinsanalyse nicht vermeiden, in eine neue Einseitigkeit zu verfallen. Die alleinige Ausrichtung an der Philosophie Heideggers führt zu neuen Verengungen in der Sicht vom Menschen. War die Psychoanalyse in Gefahr mit ihren Symboldeutungen den Menschen auf seine Sexualität zu reduzieren, so verfällt die Daseinsanalyse in eine "poetische Ausweitung" ihrer Interpretationen, die sie zwar als "Wesensschau" ausgibt, jedoch weniger einem "Angemutetwerden" gleicht als einem "Andichten". Besonders kritisch sieht Frau Struck die antiaufklärerische Haltung der Daseinsanalytiker, was sich etwa in der Aufgabe der kultur- und religionskritischen Aspekte der Freudschen Psychoanalyse zeigt. Dieses kulturkritische Defizit hat einerseits eine Ursache in dem eher konservativen "Verfallensein" der Daseinsanalytiker, andererseits in der Grenze der phänomenologischen Methode, die leicht einer "Hinnahme des Gegebenen" erliegt.

Letztlich ist ein Traum nie endgültig zu deuten. Eine gelungene Interpretation setzt die tiefgründige Kenntnis des Träumers voraus, weshalb ein Traum am ehesten zum Abschluß einer Psychotherapie sinnvoll gedeutet werden kann. Dabei befruchten sich psychoanalytischer und daseinsanalytischer Standpunkt wechselseitig. Als weiteren Gesichtspunkt steuert die Autorin eine Traumauffassung bei, die in dem Phänomen "ein Medium des Selbstdialoges" sieht. Am Beispiel von Freuds Träumen kann diese These glaubhaft belegt werden.

Methodisch kommt die Traumdeutung einer behutsamen philologischen Auslegung gleich. Behutsamkeit, Ruhe, Geduld, Kennerschaft des Wortes und Feinheit in der Durchführung teilt die Traumdeutung mit der Literaturinterpretation. Daher schon immer die Nähe von Tiefenpsychologie und Literatur, die im vorliegenden Text ebenfalls gesucht wird. Daß der Traum nicht nur der Kommunikation mit sich selbst, sondern auch der mit der Mitwelt gilt, zeigt Frau Struck am Beispiel einiger Träume aus Milan Kunderas "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins".

Der Praktiker hätte gerne noch mehr Beispiele aus der therapeutischen Praxis der Autorin gelesen. Das hätte wohl den Umfang des Buches gesprengt, müßte man doch eine Lebensgeschichte schildern, die die Selbst- und Weltverfassung eines Menschen transparent macht. Das bleibt wohl doch den Dichtern mit ihrer Gestaltungskraft vorbehalten. Vielleicht folgt ja von der Autorin ein weiteres lesenswertes Buch in dieser Richtung; die theoretischen Voraussetzungen sind jedenfalls geschaffen.

Dipl.-Psych. B.Kuck

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