Rüegg, Johann Caspar: Die Herz-Hirn-Connection. Wie Emotionen, Denken und Stress unser Herz beeinflussen. Aus der Reihe „Wissen & Leben“, hrsg. von Wulf Bertram, 204 Seiten, 14 Abb. kart., Schattauer Verlag, Heidelberg 2012.


Der renommierte Autor, vor seiner Emeritierung 1998 Ordinarius in Heidelberg und Leiter des 2. Physiologischen Instituts der Ruprecht-Karls-Universität, legt ein sehr informatives und auch für den medizinischen Laien sehr gut lesbares Buch vor. Eine enorme Faszination geht von dem erstaunlichen medizinischen Detailwissen vom Herzen und seinen Verbindungen zum Gehirn aus, das der Autor fast im Plauderton vorlegt. Bis in die kleinsten Bauteile des Herzmuskels führt uns der Autor und wir haben Teil an dem Mechanismus des „sarkoplastischen Retikulums", in dem unter Einsatz von Kalziumteilchen die Kontraktion der Herzmuskelzelle zustande kommt.

Spannend, faszinierend, beeindruckend, mindestens so wie die Raumfahrt. Wir erfahren auch, dass bei einer Herztransplantation alle Nervenverbindungen gekappt werden, also anschließend kein „Informationsfluss“ mehr zwischen Herz und Hirn stattfinden kann, der Muskel in körperlicher Ruhe daher konstant 100-mal pro Minute kontrahiert, statt ca. 60- bis 80-mal, wie dies bei einem (innervierten) eigenen gesunden Herzen der Fall wäre.

Kurz, das neue Herz hat nichts, aber auch gar nichts gemein mit dem symbolisch bzw. metaphorisch besungenen Herzen der Dichter und Liedermacher; das transplantierte Herz ist eine seelenlose Biomaschine, eine machina carnis (…), die - im Prinzip – auch durch ein Kunstherz ersetzt werden könnte. Wie wir sahen, kann sich allerdings auch das gespendete Herz bemerkbar machen und dann, aufgrund einer Bedeutungszuweisung, zumeist große Besorgnis und Angst hervorrufen, insbesondere die Furcht vor einer „Abstoßung“ (S. 7f).

Hier wird es dann schon gruselig und die Ambivalenz, die sich bereits bei der Wahrnehmung des Titels bemerkbar machte, lebt neu auf. „Connection“ ist ja schon ein eher technisch gebrauchtes Wort. „Access“, „bond“, „contact“ oder gar „union“ würden nicht gänzlich technische Assoziationen auslösen. Und leider bewahrheitet sich der Verdacht, dass nach der Lektüre zwar eine gewisse Faszination bleibt, der Blick für das Ganze allerdings fast verloren gegangen ist. Die paar Einsprengsel, wonach etwa die Unfähigkeit der Affekt- und Gefühlswahrnehmung, die „Alexithymie“, gleichsam den Verlust der Wahrnehmung leiblicher Existenz mit sich bringt, deren Ursache in der frühkindlichen Entwicklung zu suchen ist (S. 158), wirken wie ein Pircing am Bauchnabel, die oft genug etwas „aufhübschen“ sollen wohinter tief liegende Probleme verborgen bleiben.

Fast eine Million Menschen in Deutschland leiden an Herzrhythmusstörungen. Auch die sind schon bis ins letzte körperliche Detail ergründet. Ebenso die physiologischen Zusammenhänge zwischen Depression und Herzinsuffizienz. Kleine Überraschung:

Überzeugender als Antidepressiva hilft ein Fitnesstraining. Es reduziert nämlich nicht nur körperliche Beschwerden der Herzinsuffizienz wie Schwäche, Müdigkeit und Atemnot; es wirkt auch gegen Depression, und zwar fast genauso gut wie ein Antidepressivum (S. 135).

Ganz so groß ist die Überraschung dann auch wieder nicht, da schon lange in Kliniken sportliche Angebote – gerade bei depressiven Patienten – zum Standard gehören. Das kann nun mit Hilfe bildgebender Verfahren auch für naturwissenschaftlich Fixierte deutlich werden: Bei klinisch depressiven Patienten kann der Hippocampus (Region des Gehirns, die wesentlich an den Gedächtnisprozessen beteiligt ist) bis zu 20% seines Volumens einbüßen. Der Verlust an Neuronen kann durch Sport insofern positiv beeinflusst werden, da die verkümmerte Neurogenese wieder in Gang kommt – wie auch durch den Einsatz von Psychopharmaka (SSRI, Selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer). Allerdings fand man schon bei Mäusen, das dieser Prozess (sportliche Betätigung) nur den gewünschten Erfolg hatte, wenn sich die Mäuse „freiwillig“ in der „Tretmühle“ bewegten (S. 139).

Im Ganzen also ein sehr informatives Buch. Der Autor bleibt aber dem medizinischen Reparaturbetrieb verhaftet. Ihm fehlt die Einordnung in das Ganze. Und so gesehen bleibt er hinter Rudolf Virchow zurück, der eine politische Medizin forderte, da der Mensch auch und vielleicht vorrangig an seinen sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen erkrankt. Meyer-Abich („Was es bedeutet, gesund zu sein“) greift da weiter. Es ist gefährlich, sich von der technischen Finesse einwickeln zu lassen, die zu der Hybris verführen will, das alles machbar sei. Wir leben einfach so weiter, und was kaputt geht, reparieren wir. Das ist die gleiche Denkungsart wie die ewige Leier von dem notwendigen Wirtschaftswachstum. Da scheinen die Kabarettisten klarer zu sehen: „Wenn es heißt, es geht nichts ohne Wachstum in der Wirtschaft, dann ist das so, als wenn einer sagen würde, den Weg gibt es überhaupt nicht; weil niemand nachschaut“ (frei nach Urban Priol). Die Hirnforschung hilft da nicht wirklich weiter, so sie denn im gleichen Denkstil eingespannt wird oder sich selbst so geriert. Noch so viele Entdeckungen hinsichtlich der Funktion des Gehirns werden uns nicht weiter bringen, wird nicht beachtet, dass das Gehirn ein Beziehungsorgan ist (Thomas Fuchs: „Das Gehirn – ein Beziehungsorgan.“). Ein Organ, das sich in Beziehung und Auseinandersetzung mit dem innerweltlich Vorfindlichen entwickelt. Dabei werden alle neuronalen Verknüpfungen uns kaum aufschlüsseln können, was die Person beinhaltet. Zwar ist das Gehirn die Voraussetzung dafür, dass es so etwas wie die Person überhaupt geben kann; mit naturwissenschaftlichen Methoden werden wir sie nie ergründen, wie vermutlich schon das Gehirn sich selbst nie wird erfassen können.

Bonn, Januar 2013
Bernd Kuck

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J.C. Rüegg
Die Herz-Hirn-Connection

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