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Odent Michel: Es ist nicht egal, wie wir geboren werden. Risiko Kaiserschnitt. Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main, 3. Auflage 2016


Der Kaiserschnitt ist immer sicherer geworden, ebenso ist die Größe der Operationswunde sehr geschrumpft, so dass die Mütter nur noch eine recht kleine Narbe über der Schambehaarung davontragen. Allerdings ist der Kaiserschnitt inzwischen zur Wunschbehandlung geworden, bzw. wird als geplanter Kaiserschnitt immer häufiger von den Kliniken in aller Welt angeboten und durchgeführt. Mit Hilfe moderner Narkosetechniken und -mittel ist auch die Betäubung nur noch mit wenigen Risiken behaftet. Allerdings hat die moderne Geburtsmedizin dazu geführt, dass ein sehr großer Anteil an indizierten Kaiserschnitten erst durch die moderne Medizintechnik notwendig geworden ist. Die ständige Überwachung der Schwangerschaft führt nicht selten zu mehr Besorgnissen denn zu einem entspannten Umgang, wird die Schwangerschaft mehr und mehr zu einer Krankheit. Besonders kurios: Die Föten, deren Kopf zu groß ist, werden per Kaiserschnitt geholt. Sie vererben dann aber diese genetische Veranlagung, so dass auch deshalb immer mehr Kinder per Kaiserschnitt. geholt werden müssen.

Interessant ist ein Aspekt, den Odent besonders in dem Mittelpunkt rückt: Eigentlich ist sowohl die Schwangerschaft, besonders aber die Geburt, ein ausgesprochen archaischer Akt. Werden sonst gerne Vergleiche mit anderen Säugetieren angestellt, so zieht fran hier jedoch keinerlei Konsequenzen. Die meisten Säugetieren ziehen sich zur Geburt zurück, entfernen sich etwas von den Artgenossen. Nachtaktive Tiere gebären bevorzugt am Tage, tagaktive bevorzugt des nachts. D.h., sie suchen die Stille, das Fürsichsein auf, um ungestört zu gebären. Der Mensch wird in einen hell erleuchteten Kreißsaal gebracht, in dem ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Statt dass der werdenden Mutter die Möglichkeit gegeben wird, die jeweils für sie passende Lage zu finden (was allerdings in Geburtshäusern möglich ist), liegen sie auf dem Rücken, obwohl es genügend Studien gibt, die nachweisen, dass dies die ungünstigste Position darstellt. Hinzu kommt, dass die Gebärende ständig angesprochen und zu allem möglichen befragt wird. Das ist bestenfalls nett gemeint; Odent macht allerdings darauf aufmerksam, dass durch diese Art der Ansprache die Gebärende immer wieder in den Kopf kommt. Genauer: Der Neokortex wird immer wieder aktiviert, so dass die werdende Mutter nicht in den Leib und damit ins Spüren kommt. Sie kann sich so unmöglich auf das archaische Geschehen einlassen. Der Vergleich zur Sexualität ist hier naheliegend. Wer ständig in Gedanken damit beschäftigt ist, ob ersie auch alles richtig macht, kann sich nicht selbstvergessend auf die orgiastische reflexhafte Entladung einlassen. Wer sich selbst beobachtet oder sich beobachtet fühlt, kann kaum in das unwillkürliche Geschehen eintauchen und sich dem überlassen. Und so wie sich die Menschen heute häufig genug mittels allerlei Sexualtechniken anstrengen, um zum Höhepunkt zu gelangen (was meist nicht gelingt), so wird ebenfalls in der Geburtsmedizin versucht, die Kontrolle über das Geschehen zu gewinnen.

Odent spricht nicht zufällig vom „Fötusejektionsreflex“. Auch hier handelt es sich um ein unwillkürliches Geschehen, dem fran nur dahingehend behilflich sein kann, indem eine ruhige, sichere und geborgene Situation für die Gebärende ermöglicht wird. In der Praxis heißt dies, dass im Hintergrund eine gute mütterliche Figur (in der Regel die vertraute Hebamme) schweigend begleitet und bei Bedarf aktiv wird. Ebenso ist der Geburtshelfer (Ärztin oder Arzt) im Hause und kann bei Bedarf aktiv werden. Wichtig ist eine dämmrige Beleuchtung und die Möglichkeit, sich hemmungslos gehen lassen zu können. Das ist bei Videoüberwachung nicht möglich. Zumal die meisten Frauen, wenn fran sie lässt, irgendwann in den Vierfüßlerstand übergehen und hemmungslos schreien. Wird die Kooperation zwischen Fötus und Gebärender nicht gestört, werden von beiden reichlich Oxytozin ausgeschüttet - neben anderen Hormonen, die den Geburtsvorgang begleiten.

Wie gesagt: Die meisten Schwangerschaften sind eigentlich unproblematisch, es sei denn, es treten zu viele Störfaktoren auf, zu denen etwa die zu häufigen Vorsorgeuntersuchungen zählen. Wieder geht es um ein gutes Maß, denn die Geburtsmedizin ist durchaus ein Segen. Sie wird jedoch zum Fluch, wenn durch ein unbewusstes Herrschaftsverlangen das technisch Machbare übertrieben wird. Ferner wurden die Hebammen immer mehr aus der Versorgung gedrängt, die – gut ausgebildet – eine natürliche Geburt begleiten können. Und die meisten Geburtshelfer haben zu wenig Erfahrung. Odent, als Chirurg und Gynäkologe ausgebildet, hat mindestens 1000 Geburten im Jahr begleitet, indes der durchschnittliche ärztliche Geburtshelfer 100 im Jahr begleitet. Da fehlt es an Erfahrung, um bei etwas komplizierteren Situationen nicht sofort in Unruhe zu geraten und zur Spritze und zum Messer für einen Kaiserschnitt zu greifen.

Odent äußert sich auch zu den geistigen Folgen der zunehmenden Kaiserschnittpraxis. Ob die Menschen gesamthaft dadurch aggressiver werden bleibt fraglich. Die gesamtgesellschaftlichen Einflüsse sind doch sehr vielschichtig. Was aber ist mit der Bindungsfähigkeit. Inzwischen wissen wir, dass Oxytozin auch das Bindungshormon ist. Da durch den Kaiserschnitt der Hormoncocktail nicht gebildet wird, kommt es oft genug zu Störungen der frühen Bindung und ebenfalls zu Problemen beim Stillen. Daher plädiert Odent dafür, wenn auch nach engeren Kriterien ein Kaiserschnitt indiziert ist, bis zum Einsetzen der Wehen zu warten, da dann auch die Hormonausschüttung begonnen hat.

Ein lesenswertes Buch, in dem aus der Perspektive des erfahrenen Gynäkologen für weniger ist mehr plädiert wird und zu einem basalen leibfundierten Sein auch bei der Geburt aufruft.

Bernd Kuck      
August 2018

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