Murakami, Haruki : Naokos Lächeln,
Roman, Dumont Verlag, Köln, 2001, 428 Seiten
„Nur eine Liebesgeschichte“
steht im Untertitel und man ahnt, dass es mehr ist und eben genau das: eine
Liebesgeschichte, eine Reifungsgeschichte, eine Beziehungsgeschichte. Und
Beziehung umfasst alles: zu den Menschen, den Mädchen, den Freunden, zu sich
selbst, zu den Dingen, zu den Büchern, zur Welt und zur Natur, zum Leben, zum
Tod, zu allem, was den Studenten Toru Watanabe ausmacht und ihn umgibt. Der
inzwischen 37jährige Toru erinnert sich, ausgelöst durch einen Beatlesong der
60er Jahre, an sein Leben während dieser Zeit als junger Student, als Suchender.
Früh und schmerzlich erfährt er, dass das Sterben zum Leben, dass der Verlust
von Menschen, der Blick auf die vielen, unterschiedlichen Seiten einer Welt, der
Blick „hinter die Dinge“ und hinter die Lebensläufe zum Erwachsenwerden gehören.
Dass weder das äußerlich Perfekte noch das Gemeine das bleiben, was sie vorgeben
zu sein – und, dass selbst das „Sein“ nicht das ist, was es zu sein glaubt....
(Alb)-Traum, Phantasie und
Realität vermischen sich auf märchenhafte Weise. Waschen, Bügeln, Ordnung halten
sind sinnvolle Tätigkeiten: sie strukturieren den Tag sowie innere
Befindlichkeiten. Bahnhöfe, Busstationen, Literatur, der Hörsaal, das Wohnheim
und andere Orte geben Orientierung; in sie hineingeflochten entstehen
Geschichten, Traum- und Märchenwelten. In sie hineingeflochten sind die beiden
Liebesgeschichten des Protagonisten, der die in sich selbst mehr und mehr
verirrte und eingesponnene Naoko auf schweigenden Spaziergängen durch Tokio
begleitet und der sich gleichzeitig von der außergewöhnlichen, die sich dem
Leben verschriebenen, Midori angezogen fühlt.
Der Autor schildert einen
Ich-Erzähler, der eine Reifungskrise durchlebt und schließlich überwindet. Die
Offenheit der Protagonisten und deren Gespräche, stehen im Gegensatz zum
allgemein angepassten gesellschaftlichen Verhalten und zum äußeren und inneren
Druck, vorgegebene Erfolgskarrieren „perfekt“ meistern zu müssen. Die, mit den
Erfolgskarrieren, die „Perfekten“ sind die „Normalen“; bei den „Unnormalen“
spielt sich das Leben und das Lieben mit Überraschungen ab und ist nach allen
Seiten offen....
„Die Welt ist ungerecht“, lässt
Haruki Murakami einen Protagonisten sagen, deshalb habe er seine Gefühle mittels
Disziplin abtrainiert und auf ein Minimum reduziert. Toru dagegen wagt sich in
das Leben und damit auch, aber nicht nur, in die Welt der Gefühle und schafft
dadurch letztlich den Weg in eine Erwachsenenwelt oder besser in eine Welt, die
Beziehungen und Bezogensein einbezieht, Enttäuschungen riskiert, das eigene
Leben mit allen Risiken und Überraschungen erobert.
Der Autor schreibt mit einer
rauen Zärtlichkeit und streckenweise sehr erotisch. Sein Erzählstil verführt zum
„Abtauchen“; aber es ist klar, dass die „Zwischenwelten der Mythen, Träume und
Phantasien“ weder eine Dauereinrichtung noch eine kuschelige Nische bedeuten,
sondern eher als Bilder und Metaphern für zu bewältigende Herausforderungen zu
verstehen sind.
In seinen Büchern „Kafka am
Strand“ und „Tanz mit dem Schafsmann“ hat Haruki Murakami einen
ähnlichen Themenkreis angeschnitten. Im ersteren werden eine Vielzahl von
Erzählsträngen begonnen, die zunächst nichts miteinander zu tun zu haben
scheinen, die sich aber letztlich auf wundersame Art und Weise miteinander
verbinden – das ist nichts für „Erbsenzähler“. Im Mittelpunkt der Handlung steht
der 15jährige Kafka Tamura, der wie sein Kollege in „Naokos Lächeln“
schmerzvolle Verluste erlebte und nun, auf sich gestellt, die Herausforderung
der „inneren Reifung“ annimmt. Im „Tanz mit dem Schafsmann“ hat der Held das Adoleszentenalter bereits hinter sich und
befindet sich, von Verlusten ausgelöst, ebenfalls in einer Sackgasse des Lebens.
Von den drei genannten Büchern scheint mir dieses das schwächste zu sein. Es
fehlt die Dichte, die verschiedenen Erzählstränge wirken etwas langatmig, eher
abschweifend und stellenweise wie aneinandergepappt.
Was alle drei Bücher auszeichnet
sind die offenen Dialoge der Personen, das bezogen sein aufeinander, deren
Interesse an Musik und an Literatur - die Inhalte der Bücher, die sie begleiten,
scheinen in den meisten Fällen den eigenen inneren Befindlichkeiten zu
entsprechen.
Bonn im August 2005
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