Müller-Braunschweig, Hans/Stiller, Niklas
(Hg.): Körperorientierte Psychotherapie. Methoden - Anwendungen - Grundlagen. Springer
Medizin Verlag Heidelberg 2010, 282 S.; 22 Abb; Hardcover.
In den letzten Jahrzehnten hat
der Körper in der Psychotherapie mehr und mehr seinen Platz
gefunden. Was künstlich getrennt wurde und mühselig in der
Psychosomatischen Medizin wieder zusammengefügt werden sollte –
was nicht immer gut gelang, findet wieder zueinander.
Eigenartigerweise jedoch nicht in der Medizin, die immer noch allzu
oft den kranken Körper isoliert betrachtet und nur wenn sie mit
ihren üblicherweise recht erfolgreichen Methoden – wer
will schon auf eine gute medizinische Versorgung verzichten? - nicht
mehr weiter weiß, ihre diagnostischen Bemühungen kein
befriedigendes Ergebnis liefern, dann ist alles „psychosomatisch“.
Darin bleibt der Mensch geteilt, wird eine Psyche postuliert, die
physische Krankheiten hervorbringt. Es ist aber doch der ganze
Mensch, der erkrankt. Selbst wenn Krankheitskeime die Ursache
einer Erkrankung sind, wirkt sie sich auf den ganzen Menschen aus,
beeinflusst seine gesamte Verfasstheit den Heilungsprozess.
Körperorientierte Psychotherapie bei den Naturheilverfahren
anzusiedeln, wie der renommierte Springer Verlag es tut, scheint mir
genau jenes Bild von den menschlichen Krankheiten wider zu spiegeln.
Nicht anders verhält es sich
mit der Begrifflichkeit. Der vorliegende Band vermeidet den Begriff
„Körpertherapie“, spricht vielmehr von
„körperorientierter Psychotherapie“. Gerade in der
Psychotherapie behandeln wir nicht den Körper, sondern die
leibseelische Existenz des Menschen. Dabei ist eben alles am Menschen
Ausdruck, die Körperlichkeit ebenso wie Seelisch-Geistiges.
Viktor von Weizsäcker drückte dies so aus: „Der Leib
stellt die Seele, die Seele den Leib dar. Das Wichtigste in deren
Wechselspiel ist, dass sie einander vertreten.“ (S. 63). Das
trifft wohl zu, aber doch nicht ganz, da hier wieder eine Teilung
impliziert ist. Und doch kommen solche Teilungen, auch Spaltungen
vor. Weshalb der Mensch oft genug nicht über die Sprache
erreicht werden kann, der Körper sein eigenes Gedächtnis
hat, dass wir dem leidenden Menschen zugänglich machen
möchten. In der Regel treten „körperliche und
seelische 'Bewegtheit' immer gleichzeitig“ auf (S. VII), was
wohl am konsequentesten in dem Beitrag von Heisterkamp bezielt wird,
der auf dem Boden der analytischen Psychotherapie dem Körper ein
wesentliches Mitspracherecht einräumt.
Nun strebten die Herausgeber
keine vollständige Darstellung aller körperorientierten
Psychotherapiemethoden an. Der Leser findet einen recht guten
Überblick, fragt sich aber auch, wieso „Rolfing“
(Strukturelle Integration) aufgenommen wurde, wo doch der Autor
selbst davon schreibt, dass die Methode keine Psychotherapie ersetzen
könne, die Behandler wenigstens mit den Konzepten der
Übertragung und Gegenübertragung vertraut sein sollten
und eine „begleitende oder anschließende Psychotherapie
als sinnvoll“ erachtet wird.
Marlock weist darauf hin, dass
eine tief greifende Veränderung nur zu erwarten ist, wenn die
affektmotorischen Schemata und ihre jeweiligen somatischen und
geistigen Aspekte, vor allem die emotionalen Kerne wiederbelebt und
durchgearbeitet werden. Er warnt vor einem neuen szientistischen
Selbstmissverständnis der „Körperpsychotherapie“,
wonach wir es mit naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten
zu tun hätten, und nun „über den Körper die
gleiche instrumentelle Verfügbarkeit im Bezug auf psychisches
Leid erreichen, wie sie uns durch die Erkenntnisse der Physik zum
Beispiel im Umgang mit der Schwerkraft gegeben ist.“ (S. 49)
Ohne die Herstellung von Sinnzusammenhängen und Bedeutungen sind
auch die einzelnen körperlichen Phänomene nicht zu
verstehen und man würde wieder das Ganze der Existenz des
Menschen verfehlen. Im Spüren, als wesentlichem Arbeitsmodus
körperorientierter Psychotherapie, erfährt der
subsymbolische Modus des Erlebens neue Wertschätzung. Jenseits
der Sprache und der Bilder, nehmen wir ständig Stimmungen auf,
ganzheitliche Eindrücke, die traditionell als Intuition
oder Wissen des Körpers beschrieben werden. (S. 50) Dabei ist
die aufmerksame Wahrnehmung der erste Schritt. Diese Wahrnehmung dann
etwa zu bebildern und in Sprache zu fassen, sie in Beziehung zu
setzen zu den auftauchenden biographischen Erfahrungen, eröffnet
Wege zur Aneignung und Integration personalen Seins.
Viele in diesem Band aufgeführte
Verfahren – und das macht die Irritation des Rezensenten aus –
können dann eigentlich nicht als „körperorientierte
Psychotherapie“ bezeichnet werden, handelt es sich doch eher um
Entspannungsverfahren, die zwar ihren eigenen Wert haben, für
die Psychotherapie aber begleitend und wichtig sind hinsichtlich der
Wahrnehmungen, des Spürens und des Wiedererlebens
konflikthafter und ungelöster Beziehungserfahrungen. So
etwa in der Katathym-imaginativen Psychotherapie, die die Entspannung
quasi als Einleitung zur Eröffnung eines Wahrnehmungs- und
Erinnerungsprozesses nutzt, wobei eben der Körper seine eigenen,
vorsprachlichen Erinnerungen hat, die in Bildern sich zeigen können,
aber vor allem auch in Körperempfindungen oder
Handlungsimpulsen. Zu diesen Entspannungsverfahren würde
ich die „Funktionelle Entspannung“, die
„Feldenkrais-Methode“ und das „Autogene Training“
zählen. Psychotherapeutisch wird es erst, wenn es tatsächlich
zu einer Selbstreflexivität der sinnlichen Wahrnehmung kommt.
Dies trifft für die anderen dargestellten Verfahren eher zu
(Analytische Körperpsychotherapie, Bioenergetische Analyse,
Konzentrative Bewegungstherapie, Atemtherapie, KIP, Musiktherapie,
wo sie das Reflexive einbezieht). Sie haben denn meist auch einen
tiefenpsychologisch-analytischen Hintergrund. Der darf wiederum nicht
zu einer bloßen Phantasie über den Körper führen,
was Heisterkamp der traditionellen Psychoanalyse entgegen hält,
die für sich beansprucht, schon immer den Körper in
der Psychotherapie mit einbezogen zu haben. Er zitiert zustimmend
Witte (Rezension von Geißler/Heisterkamp: Psychoanalyse der Lebensbewegungen): „In der herkömmlichen
psychoanalytischen Praxis ist der Körper immer noch das Objekt
des Erlebens, und nicht das leibliche Erleben selbst das Subjekt.“
(S. 92)
Für mein Verständnis
geht es um das Finden eines Zugangs zum Patienten und der kann kaum
in vorgefertigten Behandlungsschritten gelingen. So wird es
immer wichtiger darauf hinzuweisen, dass es niemals um Anwendung von
Methoden und Techniken gehen kann. Die sind wichtig, aber eben doch
nur Vehikel und bedürfen der person- und situationsbezogenen
Anwendung. Auch die Tendenz heutiger Studenten (die wiederum
entsprechende Ausbildungskonzepte spiegeln) – oder auch das
Angebot sogenannter „Manuale“ - geht, wie
Müller-Braunschweig betont, in die Irre. (S. 26) Er führt
dies zurecht auf die Ökonomisierung im Gesundheitswesen zurück,
worin sich ein problematisches Menschenbild zeigt.
In fast allen Beiträgen sind
konkrete Anwendung und Fallvignetten zu finden. Besonders
eindrücklich empfand ich jedoch den Essay vom Mitherausgeber
Niklas Stiller über seine Selbsterfahrung mit der
Zen-Meditation. Es gelingt ihm eine sehr lebendige phänomenologische
Darstellung, in der er die große Ähnlichkeit zu
körperorientierter Psychotherapie aufzeigt. Die Trennung des
Seelisch-geistigen vom Physischen hat der Buddhismus nie
vollzogen: „... Du bringst die Aufmerksamkeit –
Manifestation des Geistes – zum Atem – Manifestation des
Körpers – und webst auf diese Weise Geist und Körper
zusammen … Körper und Geist sind nicht getrennt, aber sie
sie auch nicht ein und dasselbe, und die Beziehung zwischen beiden
wird kultiviert, indem ich die Aufmerksamkeit auf den Atem richte.“
(S. 254) Stiller reflektiert bei seinen Meditationen immer auf die
eigene Biographie und macht so den Verstehensprozess seiner selbst
mitvollziehbar. Auch dies bereits ein Element der Zen-Praxis: „In
den ersten paar Jahren der Zen-Praxis ist einer der grundlegenden
Vorgänge, dass du eine Rekapitulation deines Lebens zulässt
– dass du dich buchstäblich neu formulierst, neu
hervorbringst, deine persönliche Geschichte in Besitz nimmst...“
(S.254), also im besten Sinne Psychotherapie.
Als Zielgruppe werden Ärzte
mit Naturheilverfahren, Psychotherapeuten, Allgemeinmediziner,
Heilpraktiker und Studierende dieser Disziplinen angegeben. Wer
sich also eine erste Orientierung verschaffen möchte, der ist
mit diesem Buch ganz gut bedient. Das letzte Kapitel mit einer
„Auswahl psychischer und psychosomatischer Erkrankungen“
ist sicherlich für den Fachfremden ebenfalls hilfreich.
Bernd
Kuck, Bonn August 2010
direkt
bestellen:
Körperorientierte Psychotherapie
In Bonn-Bad Godesberg z.B. in der
Parkbuchhandlung