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Mackler, Carolyn: Die Erde, mein Hintern und andere dicke, runde Sachen. Carlsen Verlag, Hamburg 2004, 256 S., 13,- € von Luchsjury (ZEIT) empfohlen für Mädchen ab 12 Jahren


Virginia Shreve, die aus der Sicht der Eltern und des Bruders so sein sollte, wie alle anderen Shreves auch: perfekt. Das heißt: schlank, sportlich, dunkelhaarig und selbstbewusst. Sie ist alles andere als das, mit ihrem viel zu großen Hintern und ihrem viel zu kleinen Selbstbewusstsein, ihren blonden Haaren und ihrem keine-Lust-auf-Fitness.

Aber sie ist auch die, die mehr und mehr hinter die Kulissen der perfekten Shreves schaut. Da ist Mom, die eigentlich so blond ist wie Virginia und als Kind ebenso pummelig war wie diese, letztere Tatsache jedoch verdrängt, von Salat und einer Art Dauerfitness lebt, um Dad, ihrem Mann zu gefallen, der „keine dicken Frauen“ mag. Die beruflich engagierte, öffentlich bekannte Expertin in Erziehungsfragen für Eltern mit Jugendlichen und erfolgreiche Kinder- und Jugendtherapeutin findet zunächst keinen Zugang zu den wirklichen Nöten und zur Einsamkeit der eigenen jüngsten Tochter Virginia. Für Mom sind Glück und Unglück, Erfolg und Misserfolg allein vom Gewicht abhängig und sie möchte ein glückliche Tochter. Dad und der Bruder Byron leben eine Art großspurige Freude, umgeben von selbstverständlicher Beliebtheit, mit dem dazugehörenden Erfolg.

Zu Beginn der Geschichte ist Virginia 15 Jahre alt und mehr allein als sonst. Der von ihr bewunderte und vergötterte Bruder besucht die Columbia University, die älteste Schwester Anais - schön und schlank - lebt ihr eigenes Leben und hat sich von der Familie erfolgreich abgesetzt. Die beste Freundin Shannon ist mit den Eltern für 8 Monate in den Westen gezogen, da sind die E-mails nur ein schwacher Trost und für Virginia die Freundschaft mehr als gefährdet, als die Freundin von „neuen Freunden“ schreibt.

Mit Froggy - dem Klassenkamerad mit der roten Knubbelnase - gibt es neben ersten heimlichen Küssen die bange Frage, will er wirklich was von mir? Würde der sich in aller Öffentlichkeit mit mir zeigen? Nein. Niemals. Denn der von ihr zusammengestellte Verhaltenskodex für dicke Mädchen verbietet es den Coolen und den Normalen, sich mit den Uncoolen sichtbar abzugeben, geschweige denn, sie zu küssen. Und, dass Virginia uncool ist und cool für „richtig“ steht, ist sowieso klar. Das beweisen auch die drei Bri’s. Drei knochendünne Mädchen aus ihrer Klasse, deren Namen mit „Bri“ beginnt und die all das verkörpern, was ebenfalls den Namen Shreve ausmacht. Total unerreichbar für Virginia.

In der Mitte des Buches dreht sich das Blatt - drehen sich viele Blätter. Der Bruder fliegt fürs erste von der Universität, der Name Bri steht doch nicht für die Coolheit, die er zu versprechen scheint, die von Mom verdrängte eigene Pubertät lässt sich nicht mehr so gut verdrängen, eine ehemalige Englischlehrerin, der neue Arzt Dr. Love (welch ein Name!) geben den Blick auf Auswege und Aussichten frei.

In einer sich zugespitzten Krise trifft Virginia Entscheidungen, da es nun kaum noch etwas zu verlieren gibt, nur noch etwas zu gewinnen. Sie fliegt buchstäblich in ihre Freiheit und es kommt soweit, dass es für sie am Schluss nicht mehr wichtig ist, nun eine „echte Shreve“ zu sein. Sie wird zu einer echte Virginia, für die auch der Verhaltenskodex für dicke Mädchen nicht mehr gilt.

Es ist Virginia selbst, die ihre Geschichte erzählt. Sie erzählt sie in einem etwas lässig-jugendlichen Ton, der dem Bericht der Betroffenen auch eine Art Komik gibt und gleichzeitig die immer dringlichere Not und Verzweiflung der Jugendlichen deutlich macht. Neben einigen Rückblenden, bleibt der Erzählstrang in der Gegenwart, so dass die Leserin und ruhig auch der Leser (!) sich direkt in dem Geschehen aufhält, ohne zu wissen, wie es ausgeht. Gut geht es aus - wobei „gut“ alles und nichts bedeutet. Es verändert sich viel in und um Virginia in einer ziemlich kurzen Zeit und man fragt sich zwischendurch: So schnell? Aber die Autorin ist nicht so geschmacklos, uns zum Schluss mit einer „genormt schlanken“ Jugendlichen zu entlassen, wiewohl es einige Übertreibungen und Klischees gibt, die uns aus vielen amerikanischen Filmen bekannt sein mögen.

Das Buch macht Mut. Ob das Alter von 12 Jahren grundsätzlich ein guter Einstieg für das Buch wäre, möchte ich bezweifeln, etwas später reicht auch und richtet sich bekanntlich nach dem „inneren Alter“. Auf jeden Fall sollten es auch Mütter, Väter und Psychotherapeuten (!) lesen, mit einem offenen Blick auf die eigene Geschichte, für die eigenen „blinden Flecken“.


Bonn, Juni 2005
Dipl.-Psych. Ingritt Sachse 

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Mackler: Die Erde, mein Hintern und andere dicke, runde Sachen

Die Erde, mein Hintern und andere dicke, runde Sachen


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