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Luft, Helmut: Der Mann über 60. Ganzheitlicher Ratgeber für junge bis hochbetagte Alte. Brandes & Apsel, Franfurt am Main 2020, 216 Seiten, Paperback Großoktav.


Das Alter ist ein höflich‘ Mann:
Einmal übers andre klopft er an;
Aber nun sagt niemand: Herein!
Und vor der Türe will er nicht sein.
Da klingt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißt‘s, er sei ein grober Gesell1.

 

Unser Autor, 1924 geboren, hat den höflichen Mann schon früher eingelassen. Zumindest hat er bereits 2014 über „Gutes Altern“ (2. Auflage) publiziert. Herr Luft ist Nervenarzt und Psychoanalytiker und bereits seit 1994 im Arbeitskreis „Psychoanalyse und Altern“ aktiv. Er weiß also, wovon er spricht.

Die Lebenserwartung ist allgemein gestiegen, zumindest in den gut situierten Kreisen. Es ist keine Seltenheit, dass der heutige Mensch 80 oder 90 Jahre alt wird. Nach Luft gibt es sogar Clubs der 100 und der 110 Jährigen. Die evolutionäre Entwicklung dahin hat lange gebraucht und noch heute trägt der Mensch Spuren aus den Anfängen der Entwicklung des Lebens in sich. Luft stellt ihn in die lange Kette der evolutionären Entwicklung, um ihn in das Ganze des Lebens einzuordnen. Leider bezeichnet er ihn immer noch als „die Krone der Schöpfung“ (S. 28), wodurch mit der historischen Verwendung dieser Bezeichnung eigentlich die ganzheitliche Verbundenheit mit allem Lebendigen schon wieder aufgehoben ist, liegt doch in dieser Metapher der Gedanke der Herrschaft über alle anderen Lebensformen nahe. Luft verwendet diese Redensart, obwohl er durchaus Kritisches zum Patriarchat einfließen lässt.

Der Text listet die lange Reihe der leiblichen Einschränkungen auf, die mit dem Alterungsprozess einher gehen. Aber sie alle hindern uns nicht – und besonders den Mann – das Alter zu verleugnen. Wie Alfred Adler macht Luft deutlich, dass derie Mensch*in alles lernen muss, und dies gilt für das Alter in hohem Maße. Unser Kultur favorisiert die Jugendlichkeit und wie der „Idiot“ von Dostojewski tut der 'moderne' Mensch einiges, um sein Alter zu verleugnen. Lange noch tut er so, als sei er nicht schwerhörig und vermeidet die Nutzung moderner Hörgeräte, die nachweislich die Hörfähigkeit positiv beeinflussen. Luft erwähnt nicht, dass die zu späte Einsicht, die Schwerhörigkeit zementieren kann, da die Neuronen ihre Tätigkeit einstellen, wenn sie keine Signale mehr erhalten.

Interessant ist der Aspekt der Vorahnung der eigenen Sterblichkeit, die meist mit dem „inneren Kalender“ assoziiert ist. Das Sterbealter von Mutter oder Vater löst Ängste aus, die oft diffus bleiben und nicht notwendig Konsequenzen für die Lebensführung des alten Mannes haben.

Gleichwohl gibt es auch positive Aspekte des Alters. So werden die Früchte des Lebens eingefahren und wenn es Mann nicht so ergeht wie dies Curd Jürgens besang („Sechzig Jahre und kein bißchen weise, / aus gehabtem Schaden nichts gelernt. / Sechzig Jahre auf dem Weg zum Greise / und doch sechzig Jahr' davon entfernt“.), dann kann er tatsächlich aus der Lebenserfahrung gelernt haben und zur »heiteren Gelassenheit« (Heidegger) finden.

Manches in dem Text ist durchaus redundant und kurios ist die Verwechslung eines Mediziners, der beim Thema Vorsorgeuntersuchung auch die Darmspiegelung erwähnt, dabei jedoch in das Fach der Gynäkologie wechselt und von „Kolposkopie“ schreibt. Die Verweiblichung des Mannes geht jedoch nicht so weit, dass dann auch der Gebärmuttermund endoskopisch untersucht werden könnte. Dies ist vielleicht auch eine Folge des Alters, sind uns doch Wortfindungsschwierigkeiten und Verwechslungen vertraut. Das fordert mehr Aufmerksamkeit vom Lektorat, um solche Schnitzer nicht zu drucken. Nicht selten führen die Alterserscheinungen zu Peinlichkeiten, die eigentlich den wirklichen Rückzug aufs Altenteil fordern. Darin ist der alte Mensch auf Freunde angewiesen, die ihn dazu ermuntern, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Der derzeitige Innenminister Seehofer (2020) sollte dies längst getan haben.

Insgesamt ein lesenswertes Buch, dass den Leser zur Konfrontation mit dem Alterungsprozess auffordert und Stoff zum Nachdenken bietet. Irgendwann geht es für uns alle ans Sterben. Leider ist das selten in der gewünschten Weise, einfach friedlich einschlafen, möglich. Überwiegend versterben die Menschen an multiplem Organversagen, durchaus nicht auf angenehme Weise (s.a. , Nuland, „Wie wir sterben“, Kindler 1996). Auch deshalb ist es unabdingbar, sich rechtzeitig um eine Patientenverfügung zu bekümmern.

 

1 Goethe, Gedichte. Das Alter, 1815

Bernd Kuck      
Mai 2020

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Der Mann über 60

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