Kronauer, Brigitte: Die Frau in
den Kissen (Roman) Klett-Cotta/DTV, März
2001 399 Seiten.
Polichnitos,
09.08.2005
Liebe B.,
vorhin las ich das
vorab letzte Buch in meinem Urlaub zuende. Ein „Wahnsinnsbuch“ von Brigitte
Kronauer: „Die Frau in den Kissen“. Diese Autorin fiel mir erst auf, nachdem ich
in der ZEIT einen kurzen aber ausgesprochen positiven Artikel von Iris Radisch
über sie las. Sie erhält in diesem Herbst den Büchnerpreis. Ist 65 Jahre und
eine außergewöhnliche Schreiberin. Bislang kannte ich nichts von ihr. Und ich
gestehe: noch nicht einmal der Name war mir sonderlich geläufig. Nun las ich
also ein Buch von ihr und bin noch gefangen und durchwebt von ihrem so
besonderen Stil. Sie schreibt sehr assoziativ, wild bis zur Ekstase und
zärtlich, erbarmungslos nüchtern und märchenhaft versponnen. Mal stürzt man
hinab ins Erdinnere, in die Glut, ins Magma, um gleich wieder rausgeschleudert
zu werden - an die Erdoberfläche und weit darüber hinaus. Weiter und weiter.
Hoch zu den Möwen, zum Adler. Selbst wird man zum kreisenden Vogel vor einem
schmerzhaft blauen Himmel, gerät höher, aus allen irdischen Sphären hinaus, in
interstellare Räume - oben und unten sind schon lange aufgelöst – und findet
sich bei der Milchstraße wieder, um mit der Ich-Erzählerin gleich wieder
abzustürzen in ein enges, dunkles Treppenhaus, vorbei an Erbrochenem, am hastig
vollzogenen Liebesakt zwischen zwei Stockwerken, abzustürzen mit den Baumriesen
der Regenwälder Malaysias, gefällt und gehäutet – die Riesen und die Tiere,
verendet mit ihnen, man findet sich im Zoo wieder, in U-Bahnschächten und
irgendwann tritt man hinaus in die Stadt, entgültig nun – in die Stadt mit
mehreren Häuten ........ also: Du ahnst bereits, ihre Gedanken- und Bocksprünge
sind gewaltig. Alle Elemente anrufend, mit ihnen jagend, sich von ihnen
streicheln, verführen und vernichten lassend, sie selbst streichelnd, verführend
und trotz aller Vernichtung sie doch nicht vernichten könnend...... Das alles
wagt die Ich-Erzählerin, während sich die alte Frau, früher den Mähnenwolf im
Zoo besuchend, nun schläfrig durch Tag und Nacht bewegt und dabei die Alltage zu
bestehen versucht, diverse Decken um sich herum mal an- mal abgelegt, je nach
innerer und äußerer Temperatur. Die Autorin reißt Zusammenhänge auf und ein und
auseinander, um neue aufzuzeigen, sie durchschreitet, durchmisst und durchzischt
dabei horizontal und vertikal alle vorstellbaren sowie unvorstellbaren Räume von
Mikro- und Makrokosmos. Unbegrenzte Augenblicke und Einsichten schlagen ein und
auf – hart auf das Pflaster, auf dem wir versuchen, uns einigermaßen senkrecht
zu halten. Sie beschreibt biedere Menschen vor den „perfekten Bildern“ sitzend,
die sich dabei „halbwegs gerecht“ wähnen und doch „Säuglinge in ihrer Ohnmacht
und Unwissenheit“ sind, „tief verkrümelt in Polster und Kissen“, sich vom
„großen und furchtbaren Zusammenhang“ erholend. Mich hat es gepackt, liest Du. Es war der krönende Abschluss meiner Urlaubslektüre, in der alle Elemente so
durcheinandergewirbelt werden. Zwischendurch musste ich die Sätze für mich laut
lesen und war froh, wenn mein Mann, seine eigene Lektüre dafür unterbrechend,
sich bereit erklärte, einige Absätze von mir vorgelesen zu bekommen. Viele Sätze
las ich häufiger, einerseits, um den Sinn gründlicher zu erfassen – es zumindest
zu versuchen – andererseits, um sie noch ein bisschen zu genießen und
auszukosten, ehe ich mich an den nächsten machte. Man darf es nicht eilig haben
mit diesem Roman, der aber gleichzeitig antreibt und voranpeitscht, dann wieder
inne hält, Spuren immer wieder aufnimmt, sie in den Leser/die Leserin regelrecht
hineinfräst, Spuren, die sich wie in zwei gegenläufige Spiralen zu bewegen
scheinen: die eine schnürt sich mehr und mehr zusammen, die andere fegt hinaus,
alle Sphären der Erdummantelung hinter sich lassend.
Ich denke, Du bist
mehr als neugierig auf die Autorin, auf das Buch und grüße Dich herzlich – noch
aus dem Urlaub
Deine I.
Ingritt Sachse
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