Krämer/Mackenthun, Walter/Gerald: Die Panik-Macher. Piper Verlag, München/Zürich 2001, 362 Seiten
Vielleicht könnte man sagen: Dieses Buch war längst fällig! Täglich
werden wir mit einer Unmenge von Katastrophenmeldungen überschwemmt. Jedes
Medium versucht durch das Ausloben einer neuen Jahrhundertkatastrophe ganz vorn
bei den Untergangspropheten zu sein und damit endlich den religiösen Vorreitern
das Wasser abzugraben. Aber was ist wirklich dran? Wie viele
von den angekündigten Szenarien sind wirklich eingetreten? Hat diese
Untergangsprophetie nicht nur deshalb Konjunktur, weil wir in einem
ungekannten Ausmaß an Sicherheit leben, so dass uns der Nervenkitzel fehlt,
Horrorfilme im Kino nicht mehr ausreichen, unsere Angstlust regressiv zu
befriedigen?
Bei der aufmerksamen Lektüre dieses Buches kann man das eine oder andere
Vorurteil ablegen und bei einiger Aufgeschlossenheit feststellen, dass man
selbst die eine oder andere Katastrophenmeldungen ungeprüft übernommen hat. Und wie so oft:
wenn des Tages Effekt verrauscht ist, kümmert sich kaum noch jemand darum, ob
denn wohl der Untergang in einem bestimmten Teilbereich weltlicher Existenz
tatsächlich eingetreten ist. Da geht es uns dann wie im Text eines Schlagers
der 30-iger Jahre (?). Wir singen immer noch: Am 30. Mai ist der Weltuntergang,
wir leben nicht mehr lang...
Das Hauptübel scheint also die Art der Berichterstattung zu sein.
Nachrichtenagenturen verbreiten ihre Kurzmeldung, welche die einen kaufen und
drucken, alle anderen schreiben davon ab. Die Recherche wird vernachlässigt, denn man könnte ja zu spät kommen auf
dem Sensationsmarkt, der die Auflagenzahlen bestimmt. Besonders beliebt ist
die Darstellung von Einzelschicksalen, die immer tragisch und oft grausam
sind. Der Einzelne wird immer zu 100 Prozent getroffen. Aber wo
möglicherweise bei der Einnahme des Schmerzmittels Paracetamol zehn Menschen
sterben, haben 990 eine höhere Lebensqualität; und die zehn Todesfälle
gehen mutmaßlich auf falsche Einnahme zurück, also auf das größte Risiko
in der Krankenbehandlung, den Patienten selbst.
Wie nebenbei lernen die Leser kurzweilig etwas über Statistik und Epidemiologie. So
lohnt es immer darauf zu achten, was mit wem verglichen wird - oder ob
überhaupt verglichen wird, um zu einer Risikoabschätzung zu gelangen. Ein
Beispiel:
"Die von Menschen beigetragenen Pflanzengifte und Krebserreger
machen etwa ein Zehntausendstel der natürlich hergestellten aus. Eine Portion
Broccoli enthält die 15.000-fache 'Referenzdosis' des in der Öffentlichkeit
gern als Krebsgift Nr. 1 angesehenen Tetrachlordibenzodioxins, kurz auch TCDD
oder Dioxin, denn das in Broccoli wie auch in Kohl und Blumenkohl enthaltene
Indolcarbinol wird im Magen in Moleküle umgewandelt, die im Körper die
gleichen Enzymreaktionen ablaufen lassen wie TCDD. Aber dieses 'natürliche'
Dioxin scheint anders als das künstliche, von dem man etwa glaubt, dass es
über Verpackungsmaterialien unser Obst und unser Gemüse verunreinigen
könnte, niemand um den Schlaf zu bringen." (S.62)
Ähnliche Beziehungen lassen sich zur Aufnahme von Strahlendosen herstellen.
So fliegen wir ohne zu klagen von Frankfurt nach New York und nehmen dabei ein
Vielfaches der ionisierenden Strahlung auf (aufgrund natürlicher
Höhenstrahlung), als ein Castor-Behälter bislang je ausgestrahlt hat, wenn er
unser Dorf passiert.
Bei epidemiologischen Studien ist immer die Interpretation und Darstellung
von Belang. So hört es sich äußerst gefährlich an, wenn das Thromboserisiko
für Frauen, bei Einnahme der Antibabypille der 3. Generation um 50% gestiegen
ist. Dies geht auf eine statistische Risikoerhöhung von 0,002 auf 0,003 zurück
- demnach ist das absolute Risiko nach wie vor eher klein. (S. 95)
Ähnliche Risikoabschätzungen entpuppen sich als fromme Heuchelei. So ist etwa
das Krebsrisiko von Kindern rauchender Eltern, an deren Laster die Kinder also
zwangsweise durch Passivrauchen teilhaben, 100-mal höher als das Krebsrisiko in
Asbest belasteten Schulen. Aber hier wird es unbequem, denn nun müßte der
einzelne sein Leben ändern.
Darüber hinaus leisten wir uns einen erheblichen Alkoholkonsum mit all seinen Ressourcen
zehrenden und letztlich tödlichen Folgen, fahren Auto, bewegen uns
zu wenig und essen zuviel. Andere, weniger verheerende Unfälle werden aber
hochstilisiert und mit Panik beantwortet.
Und so geht es über viele Seiten, dies aber immer in flüssigem Stil, mit
einem ironischen Unterton. Erfreulich dabei, dass die Autoren sich nicht darauf
beschränken, nun ihrerseits bloß anzuklagen, sondern sie greifen einen
konkreten Vorschlag auf, wie der einzelne zu einer vernünftigen Einschätzung
eines Risikos gelangen kann. Analog zur Richter-Skala bei Erdbeben schlagen sie
eine Heilmann-Skala vor (bei der sich in der Texterläuterung leider ein Fehler
eingeschlichen hat, S. 246/48). Dies würde Herrn und Frau Meier, die eines
Tages sterben werden (Risiko 10) helfen, ihre Risiken, die sie völlig unbedarft
im Leben eingehen, besser einzuschätzen. Vielleicht würde dann Frau Meier die
Leiter festhalten, auf die Herr Meier steigt (Risiko eines Bundesbürgers, im
nächsten Jahr von der Leiter zu stürzen: 5,3) oder sie würden ihre Angst
verlieren, von einem abstürzenden Flugzeug erschlagen zu werden, wenn sie das
Haus verlassen (Risiko: 2,3).
Das Buch setzt damit auf Aufklärung. Und möglicherweise ist dies ein
Nachteil des Textes, der die psychologischen Aspekte nur am Rande
berücksichtigt, wenn etwa von der Massenhysterie die Rede ist. Aber man kann ja
nicht alles haben (immerhin gibt es ein ganzes Kapitel "Auf dem Weg zur
hysterischen Gesellschaft?", in dem u.a. auf die Thesen von Showalter,
"Hystorien" bezug genommen wird).
Eben: man kann nicht alles haben. Da sehnt sich der Mensch nach Sicherheit
und Schmerzfreiheit, verleugnet dabei Risiken, die er täglich in viel höherem
Maße eingeht, um dann apokalyptischen Mahnern auf den Leim zu gehen, u. U. sogar
Geld und Gut in der Hoffnung opfert, von seinen Amalgam-Beschwerden befreit zu
werden. So manch einer hätte sein Geld gewinnbringender in eine Psychotherapie
investiert.
So bleibt denn das Urproblem Mensch. Mit seinen Gefühlen und seinen
Ängsten geht ihm schnell mal das bisschen Vernunft verloren. Dabei geht es uns
- ein Blick in die Vergangenheit würde es an den Tag bringen -, immer besser.
So sterben heute z.B. nur so viele Menschen an Krebs, weil es überhaupt so
viele Menschen gibt; und die werden immer älter, wodurch erst die
Wahrscheinlichkeit wächst, an Krebs oder Alzheimer erkranken zu können. Es
gilt demnach weiterhin: Der Mensch ist eben sterblich und kein Gott; Leben an
sich ist gefährlich; "Leben heißt Problemlösen" (Popper) und wo der
Mensch eines löst, schafft er zehn neue. Also genau genommen müssen wir
wirklich nur Angst davor haben, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt (so die
Gallier in Asterix und Obelix) und dann müssen wir darauf eine Antwort finden
oder untergehen, wie so viele Arten vor uns. Aber vor dieser narzißtischen
Kränkung bewahre uns - Gott?
Bernd Kuck, Bonn
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