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Kogel, Jörg-Dieter: Im Land der Träume. Mit Sigmund Freud in Italien. 252 Seiten, 2. Auflage, Aufbau Verlag 2019.


Liest mensch dieses kurzweilige Buch an der Nordsee, wird es einem warm ums Herz. Freud war ein allseits gebildeter Forscher und ein Kenner Italiens. Mehr als zwanzig Reisen führten ihn in das Land seiner Sehnsucht, die er mit Goethe teilte. Goethes Werk war ihm zu tiefst vertraut und so kannte er natürlich auch die Italienische Reise, die er für seiner akribische Vorbereitung ebenso nutze wie den Citerone von Jacob Burghardt. Vertraut war er ebenso mit Burghardts Griechische Kulturgeschichte. Auf seinen Reisen erwarb er einen gut Teil seiner Antiquitäten, die noch heute in London im Freud Museum zu bewundern sind.

Kogel (Journalist, studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte) versteht es die Leser:innen mit auf die Reise zu nehmen und bereichert seine Darstellung um einige Kenntnisse, die die Freud Forschung inzwischen zutage befördert hat. Wir lernen hier einen unermüdlichen Besucher der Kulturstätten Italiens kennen, die er in Begleitung seines jüngeren Bruders Alexander (geb. 1866), seiner Schwägerin Minna Bernays oder Sándor Ferenczis aufsuchte. Freud erscheint hier als ein entspannter Reisender, der nach anstrengenden Monaten in seiner Ordination, sich dem Genuss der Werke mediterraner Kunst, aber auch Esskultur und guten Weinen hingab; letztere verschmähte er während der Arbeitsperioden, frönte sonst nur seiner Nikotinsucht.

Freud konnte es sich leisten, in den besten Hotels abzusteigen, denn seine Einnahmen waren spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts recht beachtlich. Das steht durchaus im Gegensatz zu den Mitteilungen seines ersten Biographen Ernest Jones. Gleichwohl war Freud ein gebranntes Kind, denn der wirtschaftliche Erfolg seines Vaters war nicht besonders groß, so dass die Familie Freud häufig von Geldsorgen geplagt war. Nach Tögels Recherchen verfügte Freud Mitte der 1890er Jahre über ein Jahreseinkommen von 25.000 Gulden, nach heutiger Rechnung etwa 185.000 Euro (S. 77). Solche Umrechnung ist eher problematisch, denn die Lebenshaltungskosten um 1900 waren ungleich niedriger. Jedenfalls konnte es sich Freud leisten, bei seinen Reisen großzügig zu sein.

Venedig war ihm das gelobte Land und versetzte ihn in einen wahren Glückstaumel. Rom musste noch eine Weile warten, wurde aber schließlich ebenfalls mehrfach besucht. Freud gehörte zu dem Typus Italien-Reisender, die „sich im einzelnen so langsam durch den Kuchen fressen, dass sie niemals fertig werden“ (S. 205), so Hermann Hesse. In der Toskana und in Umbrien empfand sich Freud wie im Paradies und seiner Ansicht nach wurde Adam nicht durch einen Apfel verführt, sondern durch die köstlichen Trauben, die den Reisenden hier vorgesetzt wurden.

Der weniger durch Reisen Gebildete erfährt hier ebenfalls vom Einsturz des Campanile auf dem Markusplatz (Venedig) am 14. Juli 1902; den Trümmerhaufen hinter Bretterzäunen konnte das Bruderpaar noch am Geburtstag Goethes (28. August) besichtigen.

Bereits ein Jahr vorher erfüllte sich sein sehnlichster Wunsch nach Rom zu gelangen. Endlich also, nachdem er bei früheren Italienreisen die relativ kurze Distanz nicht überwinden konnte, was er mit seiner Identifikation mit Hannibal erklärte. Freud war mit den Punischen Kriegen wohl vertraut und es war Hannibal, dem es ebenfalls nicht beschieden war, Rom zu sehen. Nun aber eroberte Freud Rom auf den Spuren Goethes, die ihn unter anderem in die Gärten der Villa Borghese führten. Das dort im Park aufgestellte Goethedenkmal überzeugte ihn nicht, fand er doch den Dargestellten zu jugendlich. Gleichwohl erkannte der Goethe Kenner natürlich die Anleihen an Goethes Werk, die in drei Gruppen um das Postament zur Darstellung kamen: Mignon und der Harfner; Faust in einem Buch lesend, dem dabei Mephisto über die Schulter schaut (eher „fratzenhaft, ein Judengesicht mit Hahnenkam u Hörnern“) und schließlich die dritte Gruppe, die Freud nicht so recht verstand, „vielleicht Iphigenie u Orest, aber dann sehr unkenntlich“ (S. 148).

An seine fünfte Rom Reise im September 1912 (mit Ferenczi zusammen) erinnerte sich Freud besonders gerne, zumal er seinerzeit den Entschluss fasste, eine Deutung der Statur des Moses von Michelangelo anzufertigen. Seine Interpretation weicht bekanntermaßen von der Burghardts und anderer Kunsthistoriker seiner Zeit ab und Freud veröffentlichte die Abhandlung zunächst anonym in der Imago. Kogel bemerkt die Merkwürdigkeit, dass bei keinem der Interpreten etwas zu den Hörnern gesagt wird, die Moses aus dem Kopfe wachsen. In Wikipedia findet sich der Hinweis auf einen Übersetzungsfehler. Danach wurde das hebräische Wort »qāran« nicht mit »strahlend«, sondern in der »Vulgata« (im Mittelalter verbreitete lateinische Übersetzung der Bibel) aufgrund einer fehlerhaften Vokalisierung mit »cornuta« (gehörnt) übersetzt (https://de.wikipedia.org/wiki/Juliusgrabmal, 23.12.2021).

Kriegsbedingt besuchte Freud schließlich erst 1923 Rom zum siebten Mal, diesmal in Begleitung seiner Tochter Anna. Dies war zugleich seine letzte Reise, denn in der Folgezeit war er von seinen häufigen Operation aufgrund des Gaumenkarzinoms geplagt. Aber schon nach der ersten misslungenen Operation kurz vor seiner Romreise mit Anna konnten nun die Schönheiten und Genüsse nicht über seinen gesundheitlichen Zustand hinweg täuschen. Eine Chicagoer Zeitung schrieb sogar, „dass ich slowly dying bin, nicht mehr arbeite, und daß alle meine Schüler zu meinem spiritual son Dr. Otto Rank gehen“ (S. 172). Auch damals also Gerüchte, die sich als Hüllen um einen realen Kern legen. Mark Twain schaltete als Reaktion auf eine ähnliche Gerüchteküche eine Anzeige: »Die Nachrichten von meinem Tod sind stark übertrieben«.

Sigmund und Anna Freud absolvierten ein strammes Programm, denn Freud wollte seiner Tochter möglichst viel zeigen. Unter anderem auch das Denkmal des Giordano Bruno, den die Kirchenoberen bei lebendigem Leibe verbrennen ließen, weil er nicht widerrief, sondern dabei blieb, dass sich die Erde doch um die Sonne bewegt. Freud hätte sicher Gefallen an dem Text gefunden, den Ingeborg Bachmann im

„Andenken an die klerikalen Mordopfer ein viertel Jahrhundert später verfasste: »Jeden Sonnabend, wenn um ihn herum die Buden abgerissen werden und nur mehr die Blumenfrauen zurückbleiben, wenn der Gestank von Fisch, Chlor und verfaultem Obst auf dem Platz verebbt, tragen die Männer den Abfall, der geblieben ist, nachdem alles verfeilscht wurde, vor seinen Augen zusammen und zünden den Haufen an. Wieder steigt Rauch auf, und die Flammen drehen sich in der Luft. Eine Frau schreit, und die anderen schreien mit. Weil die Flammen farblos sind in dem starken Licht, sieht man nicht, wie weit sie reichen und wonach sie schlagen. Aber der Mann auf dem Sockel weiß es und widerruft dennoch nicht«“ (S. 176).

Es sind gerade auch solche Einschübe, die den Text so interessant wie kurzweilig machen. Und wir lernen Sigmund Freud von einer anderen Seite als umfassend gebildeten Giganten des Geistes kennen. Auch das Bekenntnis bezüglich eines zweistündigen Gesprächs mit Albert Einstein, wonach Freud nichts von Physik und Einstein nichts von Psychoanalyse verstand, kann diesen Eindruck nicht schmälern.

Bernd Kuck      
Dezember 2021

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Im Land der Träume


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