Jankélévitch, Vladimir: Kann man den Tod denken? Aus
dem Französischen von Jürgen Brankel, Wien 2003, Verlag Turia + Kant, 127
Seiten
Jankélévitch (1903 - 1985), Philosoph und Musiker, lehrte an der Sorbonne
und blieb relativ unbekannt, da seine Zeit die Zeit Sartres und des
Existentialismus war. Im vorliegenden Text sind vier Interviews abgedruckt, in
denen er sich hauptsächlich zur Denkbarkeit des Todes und zu Fragen der
Euthanasie äußert. Er kann am ehesten als Schüler Henri Bergsons bezeichnet
werden, wenngleich er nicht zu den Lebensphilosophen gezählt werden könne.
Lebensphilosoph ist er - obwohl er sich in einem seiner Hauptwerke (La Mort,
1966) mit dem Tod befaßt -, weil er nicht abstrakt philosophiert, sondern sehr
lebensnah. Er würde sich weder als "Ungläubigen" noch als
"Rationalisten" bezeichnen, weil er jede Etikettierung ablehnte. Er
war aber echter Philosoph, einer, der vor keiner Fragestellung die den Menschen
angeht, zurückschreckt.
Die Undenkbarkeit des Todes zeigt sich etwa in den üblichen Mogeleien der
Sprache, die suggeriert, wir seien "hinüber gegangen" in ein
Jenseits, in ein jenseitiges Leben. Wir leugnen den Tod, obwohl wir
wissen, dass wir sterblich sind - aber wir glauben es nicht. Die Religionen
trösten uns darüber hinweg. Den Tod kann man nicht lernen, auch nicht durch
Kasteiung. Aber man kann leben, der Sinnlosigkeit des Todes gelebtes Leben
entgegenstellen.
Die Menschheit versucht, das Leben zu verlängern und ist damit recht
erfolgreich gewesen. Aber es kommt auch zu unsinnigem am Leben halten, das nicht
wirklich mehr Leben ist. Nach Jankélévitch muss es jedem Menschen überlassen
bleiben, ber sein eigenes Leben zu verfügen. Bei der Euthanasie handle es sich
jedoch um ein Problem des Arztes, die Erlaubnis, einem Kranken mit dessen
Zustimmung direkt oder indirekt den Tod zugeben, weil sein Zustand als
aussichtslos beurteilt wird. Es ist ein Problem der Ärzte, nicht der
Philosophen, der Moralisten (55), da der Arzt dazu da ist, das Leben zu
schützen, zu verlängern, je länger, desto besser. "Aber natürlich wird
das in der Praxis lächerlich", etwa wenn der Organismus nur noch durch
Technik arbeitet, ohne Bewußtsein. Letztlich bleibt es dann die Aufgabe des
Arztes, zu beurteilen. Nobelpreisträger helfe da nicht weiter, weil es immer
ein individueller Tod ist, zu dem am ehesten der Hausarzt sprechen kann, der den
Menschen und sein Leben, sein Lebensumfeld wirklich kennt, nicht nur einen Teil
seines Organismus. Dies setzt voraus, dass er ihn noch in seinen Lebensbezügen
aufsucht, aber wohl auch, das "die Ärzte weniger wissenschaftliche
Zeitungen und mehr Horaz und Seneca" lesen.
Obwohl es sich um ein morbides Thema handelt, wird der Leser bei der
Lektüre der kleinen Schrift nicht depressiv, sondern klarer und bekommt Lust
auf weiteres; leider liegen die Texte überwiegend nur in französischer Sprache
vor.
Bernd Kuck
Dezember 2003
direkt bestellen:
Kann
man den Tod denken?