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Heisterkamp, Günter: Vom Glück der Großeltern-Enkel-Beziehung. Wie die Generationen sich wechselseitig fördern. Psychosozial-Verlag, Gießen 2015, 280 Seiten.


Hier liegt ein sehr persönliches Buch vor, das auch noch Freude beim Lesen bereitet. Das hat nicht nur mit dem gut lesbaren Stil zu tun, sondern auch mit der Fülle lebensnaher Beispiele. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Autobiographie und Fachbuch. Die persönliche Darstellung und die Offenheit öffnen auch die Leser:innen, was mit einem Kernelement des Textes zusammengeht: Er handelt vom Glück, von der Freude der Großelternschaft und – im Gegensatz zur sonstigen psychoanalytischer Literatur nur am Rande von pathologischen Verstrickungen. Gleichwohl ist der vorliegende Text längst keine Lobhudelei oder gar Verleugnung des komplexen „Beziehungsgefüges“, das sich zwischen den Generationen oft genug herstellt, gemeinsam hergestellt wird. Nur, ebenso gemeinsam lässt sich auch das Gelingen erstreben und sogar erreichen. Der Schwerpunkt auf dem Glück und der Freude öffnet, weil Freude eben die Existenz weitet. Heisterkamp hat bereits an anderer Stelle darüber geschrieben, dass die Freude in den Therapien recht wenig Raum bekommt ( z. B. 1998, 1999, 2003, 2004, 2007, 2011) - zumindest wird wenig darüber geschrieben, weil Psychoanalyse schließlich etwas Ernstes ist. Freude in der Behandlung ist aber nicht nur ein exquisites Element der Psychohygiene für die Behandler:innen, sondern ein Entwicklungsklima, eine Atmosphäre, in der sich der Mensch nicht nur öffnet, sondern auch den Mut und die Lust zur Wiederaufnahme seiner „Lebensbewegung“ gewinnt. Leicht gerät mensch in der analytischen Community in den Verdacht der Oberflächlichkeit oder gar des Agierens. Trifft dies wirklich zu, wenn mensch sich über Entwicklungs- und tiefe Erkenntnisschritte mit seinen Patient:innen freut? Von Freud ist immerhin überliefert, dass er auf eine gelingende Erkenntnis in der gemeinsamen Arbeit sich zur Freude schon mal eine Zigarre anzündete. Mitfreude ist doch die schönste Freude. Daher heißt es schon bei Nietzsche: »Mitfreude, nicht Mitleiden, macht den Freund« (1878).

Die sich ergebenden Erkenntnisse, trägt Heisterkamp auch an künstlerische Darstellungen heran oder gewinnt sie dort. Die Erzählung Großvater und die Wölfe von Per Olov Enquist eignet sich ihm besonders für sein Anliegen, das wechselseitige Entwicklungspotential der Großeltern-Enkel-Beziehung herauszuarbeiten. Psychoanalytische Forschungsperspektiven finden ihre Anwendung auf das eigene Leben wie auch auf künstlerische Werke. Dabei kommen die alltagspsychologische, die salutogene und die biographische Perspektive zur Darstellung und werden erläutert, worin Heisterkamp einer Arbeitsweise von Wilhelm Salber folgt.

Das Buch regt an zur Selbsterkenntnis, handelt es doch auch von Heisterkamps Selbsterkenntnis im Wege mehrerer Analysen und Selbsterfahrungen. An diesem Weg von der wechselseitigen „Benötigung“ zur Selbstwerdung und wechselseitigen Förderung, lässt er die Leser:innen teilhaben. Das Schöne ist eben, dass dies sich im Grunde über sechs Generationen erstreckt und dass darin transparent wird, wie analytische Selbsterkenntnis Generationenmuster durchbrechen kann, so dass sich die Verstrickungen nicht einfach nur wiederholen. Mit Heisterkamps Öffnung, seinem eigenen In-Bewegung-Kommen, konnten Dressate seiner Urgroßeltern und Großeltern aufgegeben, Verstrickungen mit den eigenen Eltern aufgelöst, ebensolche mit den eigenen Kindern, so dass schließlich die wechselseitige Freude im Kontakt mit den Enkelkindern Raum greifen konnte. Dabei verfällt der Autor in keine idealisierende Betrachtung großelterlichen Glücks, obwohl er dies selbst nicht gänzlich ausschließen mag.

Heisterkamps Hoffnung auf Resonanz als Motivation für die Verfassung des Buches, lässt sich nicht nur auf die Kinder und Enkelkinder beziehen. Auch die Leser:innen können bei der Lektüre in Resonanz schwingen und plötzlich einer Selbsterkenntnis zuteil werden. So erging es mir mit diesem Buch. Es befindet sich schon seit seinem Erscheinen, also etwa sechs Jahre, in meinem Besitz. Oberflächlich hatte ich bislang nicht die Zeit für die Lektüre gefunden. Vor etwa zwei Jahren machte es Heisterkamp der Supervisionsgruppe, und damit auch mir, zum Geschenk, was mich ärgerte. Dieser Ärger erschloss sich mir nicht. Ich vergaß ihn, hatte nun zwei Exemplare ‚auf Seite‘ liegen. Eines davon habe ich dann weiterverschenkt. Im Zuge einer Arbeit fiel mir besagtes Buch nun gleichsam in die Hände, das ich jetzt als Teil von Heisterkamps Werk las. Neben anderen Beiträgen zur eigenen Selbsterkenntnis, die mir dieser Text bescherte, verstand ich plötzlich meine Abneigung, ja meinen Ärger. Die in dem Buch geschilderten berührenden Szenen mit seinen Enkeln machten mir schlagartig bewusst, dass mir diese Erfahrung nicht zuteil werden wird, da ich selbst ohne Enkelkinder lebe. Und nun fällt mir auch ein, dass ich einige Zeit, bevor mir das Buch wieder in die Hände fiel, intensiver kleine Kinder beobachtete und mich an deren Wachheit und Freude am Anblick kleinster Dinge ebenfalls erfreute. Ferner wurde mir zugänglich, dass mein Engagement für die Erstellung eines Kinderbuches meiner Frau auch in dieser Thematik eine Motivationswurzel hat. Nun also, ganz im Sinne Eriksons findet sich in diesen Elementen eine Möglichkeit, Generativität zu leben. Und wer weiß, vielleicht begegnet mir in der Nachbarschaft noch mal ein Kind, das auf der Suche nach einem Großvater ist.

Literatur:

Heisterkamp, Günter (1998): Freude und Leid in Kurzbiographien von Psychoanalytikern. In: Reinhard Wegner (Hrsg.): Beiträge zur Gewinnung und Anwendung psychologischer Erkenntnis. Festschrift für E. Timaeus. Essen: Akademie Verlag, 1998, 43-64.
Heisterkamp, Günter (1999): Zur Freude in der analytischen Psychotherapie. Psyche 53, 1999, 1247-1265
Heisterkamp, Günter (2003): Geteilte Freude ist doppelte Freude. In: Bartosch, E. (Hg.): Der „Andere“ in der Selbstpsychologie. Verlag Neue Psychoanalyse Wien, Wien 2003, S. 135-168
Heisterkamp, Günter (2004): Freude und Leid im Leben von Psychoanalytikern. Zeitschrift für Individualpsychologie, Jg. 30, 2005, S. 317 – 335
Heisterkamp, Günter (2007): Geteilte Freude in der psychoanalytischen Behandlung. Selbstpsychologie 8, 2007, S. 359-364
Heisterkamp, Günter (2011): Freude bringt alles in Bewegung, was im Menschen ist. In: Wahl, P.; Sasse, H.; Lehmkuhl, U. (Hg.): Freude – Jenseits von „Ach und Weh“? Beiträge zur Individualpsychologie 37. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2011, S. 40-73
Nietzsche, Friedrich (1878): Menschliches, Allzumenschliches I, Aphor. 499, Kritische Studienausgabe, Bd. 2, DTV 1988

Bernd Kuck      
Juli 2021

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