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Grimbert, Philippe: Ein Geheimnis. Roman, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2007


Der 1948 geborene Autor erzählt das Geheimnis seiner Familie, dass er erst als 15-Jähriger aufde­cken konnte. Ein in zweiter Generation durch die Nazis traumatisierter Franzose, der Psychoanalyti­ker wurde, weil er die befreiende Wirkung des Zuhörens einerseits und die Auflösung destruktiver Geheimnisse am eigenen Leibe erfahren hat. Die Geschichte selbst soll hier nicht erzählt werden, denn sie macht das Ergreifende des Romans aus. Es geht jedenfalls um die Vernichtung der franzö­sischen Juden durch die Nationalsozialisten unter Mitwirkung französischer Kollaborateure. Bemer­kenswert dabei, wie sehr das personalisierte Lebensdrama berührt, viel mehr als die Lektüre von Geschichtsbüchern. Das hat wohl auch mit der Oralhistory zu tun, die einfach stärker an Empathie und Mitgefühl heranreicht. Spontan fällt mir etwa die Geschichte von Victor Klemperer („Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten.“) ein, der das Leben eines mit einer „Halbjüdin“ verheirateten „Ariers“ in der NS-Zeit in seinen Tagebüchern festgehalten hat. Erschütternd im­mer wieder, wie blauäugig viele Menschen waren, lange daran glaubten, dass der „Spuk“ bald vor­bei sein würde. Das ist heute wieder erschreckend aktuell, wenn wir etwa realisieren müssen, dass über zehn Jahre eine rechtsradikale Zelle wieder in Deutschland morden konnte und die „Sicher­heitsorgane“ mit einer zunächst unvorstellbaren Ignoranz bei den Opfern ermittelten, kriminelle Ak­tivitäten der türkischen Mitbewohner annahmen, auf dem rechten Auge blind waren und/oder von „Verfas­sungsschutzorganen“ in ihren Ermittlungen behindert wurden.

Es bedarf wohl so mutiger Menschen wie 1968 Beate Klarsfeld, die den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wegen seiner Taten während des Nationalsozialismus ohrfeigte und zum Rücktritt auffordete.

Und heute ist es wieder soweit? Die Dummen und/oder Benachteiligten gehen zur „Rettung des Abendlandes“ auf die Straße und meinen im Islam den neuen Feind ausfindig gemacht zu haben („Pegida“). Dabei können sie die Ängste der Menschen vor islamistischen Hinterwäldlern schüren, die immer neue abscheuliche Morde im Namen der Religion verüben.

Der vorliegende Text weckt eher Sorgen vor der Erstarkung der rechten Weltvereinfacherer, die aus der Geschichte nichts gelernt haben. Vielleicht ja auch, weil sie sowieso nichts gelernt haben, weil die Politik nicht nur dem Primat der Gewinnmaximierung der kapitalistischen Unternehmen den Weg ebnet (Merkel: „Wir brauchen eine Markt konforme Demokratie.“), sondern weil unter dem Primat der Gewinnmaximierung nicht eigentlich gewirtschaftet, vielmehr ausgebeutet wird und der Mensch lediglich in Hinsicht auf seine Verwertbarkeit als „Humankapital“ von Interesse ist. Da kann dann leicht die Em­pathie und Mitmenschlichkeit auf der Strecke bleiben und viele sind froh, dass ein Feindbild ausge­macht ist, hinter dem sich die „anständigen“ Menschenverachter, Ausbeuter und Waffenhändler verste­cken können.

Hinsichtlich der Pränatalpsychologie ist noch interessant, dass der Icherzähler fast nicht hätte gebo­ren werden können, von Zangengeburt und Kaiserschnitt die Rede war, dass er immer schmächtig und schwächlich war und von einem älteren Bruder phantasierte, mit dem er nachts Ringkämpfe ausfocht, in denen er immer unterlag. Später sollte er in Erfahrung bringen, dass es einen älteren verstorbenen Halbbruder gab, der ganze Stolz seines Vaters, gegen den er nie eine Chance hatte, weil er verheimlicht wurde. Glücklicherweise blieb ihm der Ausweg in die geistige Dimension. So war er zwar ein äußerst unsportlicher Mensch, dafür aber in den anderen Schulfächern häufig der Beste. So richtig frei wurde er jedoch erst, nachdem das Geheimnis aufgedeckt war. Nun konnte er zu seiner wahren Identität finden und zu einem selbstbewussten Menschen heranreifen.

Auf der unbewussten Ebene führte die Anstrengung, eine Schuld besetze Vergangenheit zu verleug­nen, zu neuer Schuld und hätte fast weiteres Unheil bewirkt. Nebenbei ein Beleg für den Wert tie­fenpsychologisch-analytischer Psychotherapie, die dem Unbewussten den ihm gebührenden Rang einräumt, statt sich mit dem bloßen Kurieren von Symptom abzugeben. Die Tiefen des Seelisch-geis­tigen sind eben an der Oberfläche nicht zu entdecken, indes der Zeitgeist auf scheinbar flachen Gewässern mit seinen Schiffen rast, die sich geringen Tiefgangs preisen.

Bernd Kuck      
Dezember 2014

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