Geißler, Peter / Heisterkamp, Günter (Hg.): Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Zum körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie. Ein Lehrbuch. Springer Verlag, Wien/New York 2007, 680 Seiten, 25 Abbildungen. Gebunden.
In der interaktionellen
Analyse der Übertragung zeigt Bettighofer auf (59ff), dass der
Analytiker sich aus dem Geschehen nicht heraus halten kann. Die sich
herstellende Szene ist mit den gängigen Begriffen von
Übertragung/Gegenübertragung, Agieren/Gegen- oder
Mitagieren allein nicht zu fassen ist. Vielmehr muss sich eine Szene
wieder entfalten können, um evtl. in ihr oder durch sie zu einem
„Neuanfang“ (Bion) durchdringen zu können. Dies ist
nicht immer leicht und oftmals schlägt es fehl, was nicht
einfach dem Analysanden angelastet werden darf.
Und doch gibt es
auch hier immer wieder ein leises Unbehagen: Man muss schon in der
analytischen Community befangen sein, wenn man es als Offenbarung
erlebt, von den subjektiven Erfahrungen des Patienten auszugehen.
Nicht nur hat Edmund Husserl in seiner Phänomenologie schon dazu
aufgerufen, die Phänomene so zu nehmen, wie sie sich zeigen,
nichts hinter ihnen zu suchen; auch Alfred Adler betonte, dass er an
der Stelle des Patienten ganz genau so gehandelt hätte. Dann
kann und soll man immer noch die ubw. Verarbeitungen u.U. auch
Umdeutungen und subjektiven Interpretationen des Patienten
untersuchen. D.h. aber nichts anderes, als den Patienten in seinem
Sosein annehmen (siehe schon die Gesprächstherapie). Und dass
man dem Patienten zuhören soll, ja ihm sogar antworten, ist wohl
nur für eingefleischte, in der Orthodoxie verhaftete oder
sozialisierte Analytiker eine Neuigkeit. Exemplarisch seien hier mit
ihrem ganzen Œvre nur
Josef Rattner (z.B. "Krankheit, Gesundheit
und der Arzt", Eduard Spranger, Rollo May, Irving Yalom
(z.B. "Der Panamahut") und Aron
R. Bodenheimer („Verstehen heißt
Antworten“) genannt.
Bei alledem ist jedoch erfreulich
und bewunderungswürdig, wie offen Bettighofer in einer
Fallvignette sein Ringen um die Überwindung des Missverstehens
darstellt. Auch und gerade dies gehört in ein Lehrbuch. Der
Therapeut wird zum menschlichen Gegenüber, wie es etwa Rogers
mit seinem Terminus der „Echtheit“ gefordert hat. Und es
sind eben nicht die gelungenen Therapien, aus denen wir lernen,
sondern gerade auch die misslungenen. Und für den Lernenden ist
es allemal entlastend, wenn er nicht nur erfährt, wie großartig
die „Alten“ arbeiten, sondern dass sie auch keine
Übermenschen sind.
Scharff (91)
weist darauf hin, dass ein körpertherapeutisches Setting nicht
der neue Königsweg ist. Das Setting kann den analytischen
Prozess bereichern und vertiefen, genauso gut kann es den Prozess
stören, verhindern, zu größerer Befangenheit an der
Oberfläche und/oder zu einer komplexeren Abwehr führen.
Im
Hinblick auf sexuelle Phantasien bietet das klassische analytische
Setting dem Patienten sogar einen größeren Freiraum,
wenngleich klar ist, dass die Grundregel des verbalen Settings nicht
eins zu eins auf das körpertherapeutische zu übertragen
ist.
„Der psychoanalytische Raum, der auf die Kommunikation mittels der Worte anzielt, bietet unter diesem Gesichtspunkt dem Patienten fraglos einen viel größeren Entfaltungsraum, als er in der sinnlichen Unmittelbarkeit der körpertherapeutischen Szene gegeben ist.“ (92)
Überhaupt
ist zu bedenken, dass ohne die Einbeziehung des Körpers bzw. der
körperlichen Aktion oder wie Scharff es nennt, der
„inszenierenden Interaktion“, die Weite, oft auch
Sicherheit, des phantasmatischen Raumes mit seiner Möglichkeit
des Spielerischen, der gefahrlosen Mitteilung erhalten bleibt.
Die
Einbeziehung körpertherapeutischer Interaktion ist so nicht
einfach als ein „Mehr“ für die Psychoanalyse
aufzufassen.
„Die beiden Behandlungssettings eröffnen je spezifische Möglichkeitsräume, die in ihrer je eigenen Charakteristik und Verlaufsgestalt verstanden sein wollen.“ (98)
Peter Geißler gibt einen imposanten Überblick zum Stand der entwicklungspsychologischen Konzepte, wobei er weit über den Tellerrand hinaus schaut und Verbindungen zu den Weltbildern anderer Disziplinen herstellt. Ihnen gemeinsam scheint die Vorstellung interaktionellen Geschehens in komplexen Systemen, die den Erkenntnismöglichkeiten des Menschen unter Umständen unzugänglich sind. Was wir Realität nennen, ist möglicherweise nur Potentialität.
„Es ist nicht die Realität selber, sondern nur eine mögliche Fähigkeit, sich auf verschiedene Weise zu realisieren, sich als Materie zu manifestieren.“ (103)
Worte eine Physikers (Dürr), nicht eines Esoterikers! Und interaktionelle Mitwirkung ist inzwischen auch dem Säugling zugestanden, wie sie die moderne Säuglingsforschung offenbart hat.
Mit der systemischen „bzw. relationalen Perspektive von Entwicklung“ (108f) in der Psychoanalyse gliedert sich diese
„in eine holistische Sicht des Lebendigen und des gesamten Universums ein, wie sie z.B. auch für die moderne Quantenphysik charakteristisch ist.“ (109)
So findet nun auch der Adlersche Gedanke, wonach der Mensch nicht Objekte sucht, sondern per se Sozialwesen ist und ohne die interaktionelle Bezogenheit nicht lebensfähig, Eingang in die moderne Psychoanalyse, wenngleich es Adler bei Geißlers Beitrag nur in die Fußnote geschafft hat.
Sehr anschaulich
und gut mitvollziehbar befasst sich Gisela Worm mit den
Handlungsdialogen in der therapeutischen Beziehung. (211ff) Darin
wird deutlich, dass die Diskussion in der Psychoanalyse darum, ob der
Körperausdruck nicht die primitivere Ausdrucksform sei und daher
die körperliche Interaktion einen Rückschritt darstelle, zu
kurz greift. Frau Worm zeigt an einer Reihe von Beispielen, wie über
den Körperausdruck eine Fülle von Assoziationen angeregt
werden, die erst den Zugang zu verdrängten Gefühlen und
dazugehörigen Szenen ermöglichen. Wie bei der Betrachtung
eines Gemäldes erschließt sich der Kern der Thematik
spontan und sofort durch den Gesamteindruck des Ausdrucks. Gleichwohl
kann Ausdruck vieldeutig sein und bedarf der Klärung in der
gemeinsamen vertiefenden Verstehensbemühung von Patient und
Therapeutin.
Diese gemeinsame Ebene verlässt Frau Worm auch
nicht, wenn sie sich in einem weiteren Beitrag dem komplexen Thema
der „Widerstandsanalyse in der körperlichen Interaktion“
zuwendet. (259ff) Neurotische Übertragungsmuster werden nicht
mehr auf der Basis triebtheoretischer Konstrukte betrachtet, sondern
unter dem Gesichtspunkt der Ersatzbefriedigung, die aus einer
Kompromisslösung aus Grundbedürfnis und familienkonformem
Umgang damit erwachsen sind. Als „Adlerianer“ bin ich
sofort an dessen „Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes“
erinnert. Darunter ließen sich durchaus Bedürfnisse nach
„Halt, Schutz, Grenzen (...) Wärme, Selbstbehauptung und
geschützter sinnlich-sexueller Entwicklung“ (261)
subsumieren bzw. ausdifferenzieren.
Die Unterscheidung zwischen
Bedürfnis und Ersatzbefriedigung wird für den
Abstinenzbegriff in einem körpertherapeutischen Ansatz besonders
wichtig, da der traditionelle Begriff ja jegliche körperliche
Handlung ausschließt.
Mit bewunderungswürdiger
Souveränität schildert Frau Worm die ständige
Gradwanderung bei der therapeutischen Einbeziehung des Körpers.
Nicht nur, weil die Empfindlichkeiten bei beiden Protagonisten
schnell anklingen, da es keine „Rückzugslinie“ mehr
gibt, wenn der Körper angerührt wird oder sich rührt.
Ersatzbefriedigungen lauern auf beiden Seiten und Frau Worm spricht
dabei die Omnipotenzphantasien (z.B. im Konzept des „Nachnährens“)
auf therapeutischer Seite ebenso an, wie die in der therapeutischen
Beziehung von Seiten der Patienten aufkommende Sexualität. Es
ist eben nicht damit getan, lediglich einen sexualisierten Widerstand
auf Patientenseite zu problematisieren oder gar zu externalisieren.
Daher nimmt der Aspekt der Sexualisierung auf BehanderInnen-Seite
gebührenden Raum ein, gehört sie doch notwendig in den
Ausbildungszusammenhang und damit in ein Lehrbuch. Eine unstimmige,
„isolierte“ Körperintervention kann solche
Verstrickungen geradezu hervorrufen, etwa wenn sie zum „Verlust
des symbolischen Raumes“ (273) führt.
„Durch die körperliche Interaktion werden sehr basale Gefühle und Bedürfnisse angesprochen. Der Grad zwischen einem notwendigen Erreichen dieser manchmal sehr früh abgewehrten Affekte und einem therapeutischen Umgang damit, der nicht zum Verlust des symbolischen Raumes führt, ist oft sehr schmal.“ (276)
So gibt es denn
Verführungsmotive auf beiden Seiten der an der Szene
Beteiligten. Kommt es zum sexuellen Übergriff in der Therapie,
sind meistens narzisstische Defizite auf beiden Seiten ursächlich
dafür verantwortlich, nicht etwa „Frustrationen durch
mangelnde Möglichkeiten der Triebbefriedigung“.
(284)
Gleiches gilt wohl für sexuelle Übergriffe in
therapeutischen Ausbildungsverhältnissen, die in diesem Aufsatz
– merkwürdigerweise – nicht angesprochen werden
(vgl. dazu etwa Kaiser: „Grenzverletzung“).
Dafür kommt aber der „verliebte Therapeut“ (286f)
zur Sprache und ein Plädoyer für einen erwachsenen Umgang
damit, ohne den Patienten mit Übertragungstheoremen zu
infantilisieren. Ebenso problematisch ist natürlich das
Ausagieren der Gegenübertragung der Verliebtheit, da sie den
symbolischen Raum genauso zerstört, wie die Leugnung der
Gegenübertragung und der Gefühle auf der erwachsenen Ebene.
Zum Umgang damit braucht es im ersteren Fall einen „sicheren
Elternkörper“ (Moser), in letzterem Fall einen „sicheren
Partnerkörper“; mit anderen Worten: ein in seinen privaten
Lebensbezügen geklärtes therapeutisches Gegenüber.
Neben einem „ausreichend“ integrierten männlichen
bzw. weiblichen Körpergefühl, einem sicheren
Selbstwertgefühl in diesem Bereich, braucht es ein
narzisstisches Gleichgewicht, um nicht selbst Verführungen zu
inszenieren, bzw. in grenzverletztender Weise „darauf
einzugehen, wenn Patienten hier ihre Abwehr oder spontane Potenz
entfalten.“ (288)
Tilmann Moser befasst sich mit der „Trennung von Körper und Seele“ und plädiert wegen der „oft sehr realen Spaltung zwischen Körper und Seele“ dafür, den Körper „bei bestimmten Störungen handelnd einzubeziehen, weil sonst wesentliche Anteile eines Konflikt- oder Defektpotentials nicht zugänglich werden.“ (294) Dieses negative Potenzial scheint ihm die Quelle von überlangen klassischen Analysen zu sein, wie er schon vielerorts dargelegt hat. Im vorliegenden Beitrag schildert Moser an Fallvignetten seine Arbeitsweise.
Psychoanalyse der Lebensbewegungen, ein Lehrbuch, das das „Bewegungsgesetz“ (A. Adler) des Menschen fassbar, greifbar und damit begreifbar und so vermittelbar machen möchte. Günter Heisterkamp muss seine Herkunft aus der Individualpsychologie nicht verleugnen. Vielmehr scheint sie überall durch, wenn er seine Patienten nicht nur als Objekte einer Analyse unterziehen will, sondern in der „Mit-Bewegung“ den Anderen verstehen möchte. Daher spricht er von einer „Praxeologie basaler Mit-Bewegung“ (302). An vielen Fallvignetten macht Heisterkamp mitvollziehbar, dass es eben nicht darum gehen kann,
„mentale und körperliche Phänomene isoliert zu betrachten. Sie würden nämlich gerade die Erlebenswirklichkeit des Patienten bzw. dass Muster seiner aktuellen Lebensbewegung sowie das Wirkgeschehen zwischen Patient und Therapeut zerstückeln und das Verstehen erschweren.“ (303)
Die von der Psychoanalyse
heute wieder entdeckte „interaktionelle, intersubjektive oder
relationale Perspektive“ geriet seinerzeit mit der Dissidenz
Alfred Adlers in die Verbannung. (305) Die Mit-Bewegung wird zu einem
Mit-sein zwischen Patient und Therapeut, ohne die Abstinenz und
fachliche Asymmetrie aufzugeben, was in einer wechselseitigen
„Be-Nötigung“ der Fall wäre, eine Angst, die
unter den klassischen Analytikern seit der
Freud-Ferenczi-Auseinandersetzung umgeht.
In der leibfundierten
Psychotherapie gibt der Therapeut ein ganzes Stück seiner
Deutungsmacht auf, lässt sich auf die Beziehung ein und sich
berühren. Patient und Therapeut stimmen sich grundlegend ab,
gestalten gemeinsam und aktiv eine Szene, wobei dem Therapeuten die
Aufgabe zufällt, Manipulationen zu vermeiden. Gleichwohl bietet
der Therapeut Interaktionsmöglichkeiten an, indem etwa „auf
das Ansprechen“ eines Themas „nicht das Durcharbeiten
folgt, sondern das Erproben eingeschoben“ wird. (310)
Zeigt
sich Erstarrung oder Stockung im gesamtseelischen Prozess, so kann
ausdrückliche Beachtung kleinster körperlicher Bewegungen
(Zehe, Mund, Kiefer, Augen u.a.), in denen rudimentäre
Lebendigkeit verblieben ist, den Prozess neu beleben.
Heisterkamp
gliedert das Geschehen (Abstimmung, Vertiefung, Anspielung,
Bereitstellung, Vorstellung, Modellierung, Erprobung, Nachbereitung),
wobei er den ganzen Prozess als gemeinsames „psychotherapeutisches
Werk“, ich meine Kunstwerk, begreift. Dennoch schreibt er keine
„Anleitung zur körperpsychotherapeutischen Behandlung“
(hier ist er nicht immer konsequent in seiner Begrifflichkeit), denn
was sich gestaltet ergibt sich aus und in der Interaktion. Die aus
dem gemeinsamen Handeln erwachsenen prozeduralen und impliziten
Auswirkungen können oft genug nachträglich, jedoch nie
gänzlich verbalisiert werden. Ebenso ist den
„unmittelbaren Wirkungen der Interaktion (...) auch mit noch so 'strenger Abstinenz' nicht zu entgehen, im Gegenteil sind die sublimalen Wirkungen umso fataler, je mehr ein Therapeut Prinzipien wie Neutralität oder Abstinenz formal glaubt realisieren zu müssen und zu können.“ (332)
Im Gelingen oder in der Neuabstimmung nach dem Misslingen liegt vermutlich im Schaffen eines gemeinsamen therapeutischen Werkes das eigentliche therapeutische Agens. Damit lernt Freud nicht nur Laufen (Trautmann-Voigt), sondern zugleich wird die Subjekt-Objekt-Asymmetrie der Psychoanalyse überwunden, gewinnen der Gesellige (Adler) und der Systematiker (Freud) ein Stück Gemeinsamkeit zurück.
Hier nun noch etwas
summarisch, was auf den weiteren 300 Seiten folgt:
Rudolf Maaser
gibt in seinem Beitrag dem Leser Einblick in die analytische
Körperpsychotherapie der Anorexia nervosa. Des weiteren finden
sich Beiträge zum körpertherapeutischen Arbeiten in der
analytischen Gruppentherapie (Heinzel, „Körpertherapie in
der analytischen Gruppentherapie“, 392 – 411), wobei der
Aufsatz von Robert Ware, „Gruppentherapie und
Gegenübertragungs-Kapazität“, besondere Erwähnung
finden soll.
Mit „Gegenübertragungs-Kapazität“
ist ein virtueller Raum im Therapeuten gemeint, in dem sich
konflikthafte frühere Beziehungsmuster einzelner oder der ganzen
Gruppe ebenso abbilden, wie sich innere Objektbeziehungen und
unaussprechliche Affekte wiederholend inszenieren. Dies wird sehr
anschaulich und offen in Fallvignetten dargestellt. Bildung von
Untergruppen oder Paarformationen sind nicht apodiktisch verboten,
sollen aber nicht einfach agiert, sondern in der Gruppe bearbeitet
werden, wodurch wertvolle Regungen und Impulse für die Arbeit
nutzbar gemacht werden können. Dies gilt natürlich auch von
Gegenübertragungsträumen. Ware schildert hier sehr offen
einen solchen sexuell gefärbten Traum, den er, zu bewundern ist
sein Mut, offen diskutiert. Wie groß die Überwindung sein
dürfte, vor der Öffentlichkeit einen solchen Traum zu
schildern, der üblicherweise verschwiegen wird, zeigt eine nicht
bemerkte Fehlleistung, wenn Ware in der Besprechung des Traumes
schreibt:
„Auch im Traum ist nichts direkt von sexueller Erregung, verschweige denn Verführung, zu spüren.“ (kursiv BK)
Kapitel vier behandelt „Spezielle Anwendungen“. Im Beitrag „Die Kunst des Liebens“ (Dagmar Hoffmann-Axthelm), wird die Sexualität und Sexualisierung thematisiert. „Eros und Sexualität im Spielraum der körperpsychotherapeutischen Beziehung“ ist Thema eines weiteren Aufsatzes von Robert Ware. Thomas Reinert befasst sich mit der „Langzeitbehandlung bei Patienten mit Borderline-Störung“ und schildert ausführlich einen Fall mit sehr intensiven Körperinteraktionen im Stadium der Tiefenregression, wozu die Patientin eigene kommentierte Zeichnungen beisteuert; Maria Steiner Fahrni befasst sich mit dem impliziten „Beziehungswissen in Träumen von Erwachsenen“, worin sie einen systematischen Zugang zur Interpretation von Träumen schildert; George Downing zeigt, wie auch zu schwierigen Patienten, bei denen schon die Anfänge unbehaglich sind, ein Zugang gefunden werden kann. Dabei will er nicht einfach den Patienten eine projektive Identifizierung attestieren, sondern möchte mehr deren „kollaborative Fähigkeiten“ nutzen, wobei er besonders den „systematischen Mikrofokus“, wie ihn z.B. auch Beebe und Lachmann beschrieben haben, in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Feinste Regungen, z.B. in Mimik und Gestik des Therapeuten, die dem Bewusstsein nicht ohne weiteres zugänglich sind, führen etwa zu einer destruktiven Interaktion auf Seiten des Patienten, womit er eine ihm vertraute Interaktion einleitet, auf die der Therapeut mit Unverständnis, ärgerlich oder mit Gefühlen der eigenen völligen Unfähigkeit reagiert.
„Eine vernünftige Lösung dieses Dilemmas stellt die strenge Selektion dar, wer in Therapie aufgenommen wird. Es kann einfach die Tür vor Patienten verschlossen werden, die keine richtige Behandlungsbereitschaft zeigen. Das ist, in unterschiedlichen Ausprägungen, die Lösung Kernbergs und seiner Kollegen (...) und auch die Linehams. Beide setzen von Beginn an die Latte hoch.“ (555)
Aber selbst hier ist ein
Zugang möglich, wie Downing glaubhaft darlegt.
In einem
Aufsatz befassen sich Geißler, Heisterkamp und Moser mit Fragen
der Integration des Körpers und der Erfassung körperlichen
Geschehens in der Weiterbildung. Dabei sind sie sich der Probleme
methodischer Überlegungen wohl bewusst. Sie sind für die
wissenschaftliche Begründung eines therapeutischen Ansatzes
notwendig, dürfen aber nicht zu Lasten der lebendigen
Vermittlung gehen. „... wir brauchen hier eine dialektische
Sichtweise, die ebenso den Vorteil wie den Nachteil methodischer
Kategorisierungen betont. Ähnlich wie in der Handhabung des
Abstinenzprinzips ist die innere Haltung der Ausbilder bei weitem
wichtiger als starr vorgegebene Regelwerke.“ (591)
Selbsterfahrung ist hier unabdingbar und vieles kann in einer
aktiveren Form der leiborientierten Supervision geleistet werden.
Abschließend wird noch der Versuch unternommen, die leibfundierte Psychotherapie philosophisch zu untermauern. Kurz gefasst geht es wohl darum deutlich zu machen, dass an allem Anfang die leibliche Existenz des Menschen steht. Daher ist es um so verwunderlicher, dass der Körper so lange in der Psychotherapie eine Schattenexistenz führte. Rolf Kuhn spricht von der „Leiblichkeit als Ursprungsleib“, in der von Anbeginn das Gefühl der Lebendigkeit gründet. Daher sei es sinnvoll davon zu sprechen, „wir sind unser Leib“, statt der üblichen Rede vom „Leib haben“. (609) Der Beitrag krankt meines Erachtens daran, dass er in einer Sprache daherkommt, die für Fachkollegen der Philosophie gedacht ist, den Nichtphilosophen eher abschreckt. Dies ist sicherlich ein Grund dafür, dass so viele Psychologen und Mediziner der Philosophie den Rücken gekehrt haben. Herr Kuhn hilft dem leider nicht ab.
Insgesamt ein gelungenes Lehrbuch, bei dem es lohnend ist, nicht nach vorhandenem Sachregister zu lesen, sondern nach Inhaltsverzeichnis – oder sogar ganz! Das „Verzeichnis der Beispiele“ erleichtert das Wiederlesen, wie auch im umfangreichen Literaturverzeichnis weiterführende Texte zum Studium einladen. Vermisst habe ich eine umfassendere Geschichte der körper-/leiborientierten Psychotherapie. Ich wünsche dem Werk, dass es in jeder guten Bibliothek verfügbar ist und eifrig gelesen wird.
Schade ist allerdings, dass der doch eigentlich renommierte Verlag nur unzulänglich redigiert hat. Anscheinend wurde das geschulte Korrekturlesen eingespart, wovon eine stattliche Zahl von Tippfehlern Zeugnis ablegt. Ärgerlich ist auch die Computerschreibprogramm gerechte Trennung, die selbst einzelne Buchstaben („e-ckig“, „E-nactments“) oder Falschtrennungen („Gege-nübertragung“) unbeanstandet lässt. Das sollte bei einer Neuauflage unbedingt korrigiert werden.
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Psychoanalyse der Lebensbewegungen