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Eliacheff, Caroline: Das Kind, das eine Katze sein wollte. Psychoanalytische Arbeit mit Säuglingen und Kleinkindern. Antje Kunstmann Verlag, 2. Aufl., München 1994. Inzwischen 9. Auflage 2009


Eliacheff hat die Art mit Säuglingen und Kleinkindern zu arbeiten bei Françoise Dolto ken­nengelernt. Sie behandelte Kinder aus dem Säuglingsheim in Paris, welche die ASE (Aide so­ciale à l'enfance, entspricht in Deutschland etwa dem Jugendamt) in Betreuung hat. Die analytische Arbeit besteht hauptsächlich darin, die Säuglinge über ihre Situation aufzu­klären und bestehende Symptome einer Deutung zuzuführen. Dabei berührt sie die Säuglinge nicht, spricht aber mit ihnen, obwohl die landläufige Meinung ist, dass Säuglinge und Kleinkinder sowie­so nicht verstehen, da sie entweder der Sprache noch nicht mächtig sind oder diese erst lernen.

"Die psychoanalytische Behandlung eines Säuglings bietet vor allem die Möglichkeit, ihm den Grund für die Trennung mitzuteilen und das, was er erlebt, in Worte zu fassen. Alles Nicht-Gesagte näm­lich bewirkt einen Bruch im Symbolisierungsprozeß, einen Bruch, der sich in der allerersten Zeit vor allem in körperlichen Symptomen äußert" (S. 21).

Wie passt dies zu der Annahme, dass im vorsprachlichen Erleben Symbolisierung noch nicht möglich ist. Entweder stimmt diese Annahme nicht oder die Behandlung, wie sie Eliacheff vornimmt wirkt aufgrund anderer Implikationen. Die Symbolisierungsfähigkeit setzt etwa ab dem 18. Lebensmonat ein. Frau Eliacheff beschreibt aber analytische Behandlungen im Alter von zweieinhalb Monaten. Zufällige Heilungen?

Es geht dabei nicht um Tröstung oder gar Wiedergutmachung. Vielmehr werden die Worte direkt an den Säugling gerichtet, der so als Subjekt bezeichnet wird, wodurch er die Möglichkeit er­halte, seinen Körper zu besetzen.

"Vielmehr wird das Leiden symbolisiert, indem man die Geschichte des Kindes neu faßt, durch die Verknüpfung mit seinen Ursprüngen seine Identität festigt und ihm ermöglicht, seine Rechte als Subjekt wahrzunehmen" (S.21).

Olivier, ein zweieinhalb Monate alter Säugling aus dem Säuglingsheim, hat ein ausgedehn­tes schuppendes Ekzem auf der Kopfhaut und im Gesicht, sowie eine starke Verschleimung der Bronchien, verbunden mit einem Geräusch sowohl beim Ein- wie beim Ausatmen. Der Junge wurde von seiner zum xten Male schwangeren Mutter anonym geboren, da sie sich nicht in der Lage sah, auch dieses Kind noch zu versorgen. Sie wollte, dass er durch Adoption in gute Hände kommt. Frau Eliacheff erklärt dem Säugling, wie seine Situation ist und dass er vermutlich bald von einer Familie adoptiert wird, er auf jeden Fall seine Mutter nicht wiedersehen werde. Er müsse auch seine Hautfarbe nicht verändern, egal, ob die Adoptiveltern eine andere haben, er werde seine schwarze Hautfarbe beibehalten. Eine Woche später sieht sie den Jungen wieder, dessen Haut, zu ihrer Überraschung, „völlig geheilt ist“. Der Atem ist noch geräuschvoller geworden und der Internist möchte weitere Untersu­chungen vornehmen. Nachdem sich Frau Eliacheff von der betreuenden Säuglingsschwester weiter informieren lässt, dabei erfährt, dass diese und das weitere Personal immer noch hofften, dass sich die leibliche Mutter für die Anerkennung des Jungen entscheiden würde – was sie nicht tat, spricht sie wiederum zu ihm und erklärt ihm seine Situation. Abschließend deutet sie seine Symptomatik: „Du bist nicht, weil du geatmet hast, von ihr [der Mutter, BK] getrennt worden, und du wirst sie auch nicht dadurch wiederfinden, daß du nicht mehr atmest.“ Einen Monat später erfährt die Analy­tikerin, dass Olivier seitdem keinerlei Atembeschwerden mehr gehabt habe. Nicht alle Behandlungen zeitigen solch dramatische Heilungen, teilweise dauern die Behandlungen auch länger – aber sie sind häufig ebenso erfolgreich.

Eliacheff steht wie Myriam Szejer (Platz für Anne, Verlag Antje Kunstmann, München 1998) und Françoise Dolto der Psychoanalyse Lacans nahe. Dornes bezeichnet Dolto als die „bedeutendste Repräsentantin der Lacanschen Theorie auf dem Gebiet der Kinderanalyse“ (Dornes, Die emotionale Welt des Kindes, Fischer Verlag, Ffm. 2007, S. 226). Sie hat auf die gleiche Art wie die genannten Autorinnen mit Kleinkindern und Säuglingen gearbeitet. Es gibt im naturwissenschaftlichen Sinne keine empirische Forschung, jedoch eine große Zahl klinischer Belege dafür, dass die Säuglinge etwas verstehen oder doch auf die Interventionen reagieren.

Vieles verstehen wir noch nicht, zumal dann, wenn allein die naturwissenschaftliche Vorgehensweise zum Maß aller Dinge genommen wird. Beachten wir nur die Belege aus der pränatalen und perinatalen Lebenszeit, die auch naturwissenschaftlichen Maßstäben gerecht werden, so dürfen wir ruhig davon ausgehen, dass Erfahrungen der vorsprachlichen Zeit sich im Körpergedächtnis eingraben, hier bereits Traumen gesetzt werden, die bei entsprechender Beachtung schon frühzeitig einer Behandlung zugeführt werden sollten. Eine Fülle von Belegen finden sich z.B. bei Janus (Wie die Seele entsteht. Unser psychisches Leben vor, während und nach der Geburt, Mattes Verlag, Heidelberg 2011).

Die Untersuchungen von Piontelli (Vom Fetus zum Kind: Die Ursprünge des psychischen Lebens, Klett-Cotta, Stuttgart 1996), die Föten im Ultraschall beobachtete und nach der Geburt weiter untersuchte, geben zu denken. Dabei fanden sich z.B. Verhaltensweisen, die schon intrauterin beobachtet werden konnten. Immerhin doch recht beeindruckend, wenn Zwillinge im Ultraschall beobachtet werden, wie sie immer wieder die Hände durch die Fruchtblasen aneinander legen. Als Kleinkinder hatten sie dann riesigen Spaß, wenn sie wechselseitig die Hände durch einen Vorhang berührten.

Es gibt noch viel zu erfahren und zu erforschen und sicherlich könnte dem Menschen viel Leid erspart bleiben, wenn dem Lebendigen überhaupt mehr Respekt und Achtung gezollt würde und das technizistische Weltbild stärkere Beschränkung erführe.


Bonn, August 2012
Dipl.-Psych. B.Kuck 

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