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Caspar, Franz (2007): Beziehungen und Probleme verstehen. Eine Einführung in die psychotherapeutische Plananalyse. Mit einem Vorwort von Marvin R. Goldfried. 3., vollständig überarbeitete Auflage, 278 S., 39. Abb., Verlag Hans Huber, Bern, 26,95 EUR


Alle psychotherapeutischen Schulen stellen den Versuch dar, die Komplexität der menschlichen Psyche auf ein handhabbares Maß zu reduzieren. Sie sind gezwungen, aus der Fülle der Manifestationen die ihres Erachtens wesentlichen herauszufiltern und zu systematisieren. Freud führte alle seelischen und kulturellen Erscheinungen auf den Sexualtrieb zurück und stellte ihm später den Todestrieb an die Seite. Alfred Adler erwog für eine kurze Zeit, alle Neurosen, Psychosen und sozial unerwünschte Handlungen auf die mehr oder minder geglückte Kompensation einer Organminderwertigkeit zurückzuführen. Auch andere Pioniere der Psychotherapie waren bestrebt, alle Erscheinungen aus einem Punkt zu erklären.

In allen Fällen wurde nur zu schnell deutlich, dass es keine „Einheit der Neurosen“ gibt. Es begann die Zeit der Nosologie, die sich bis heute im ICD10 und anderen Klassifizierungen lebendig erhält. Mit einem Wort, die kurze Geschichte der Psychologie hat eine große Zahl von Versuchen hervorgebracht, Beziehungen, Motive, Erfahrungen und psychische Störungen nach Ursachen und Erscheinungsformen zu ordnen, auf allgemein gültige Prinzipien zurückzuführen und für eine Psychotherapie nutzbar zu machen. Jeder neue Ansatz brachte dabei einen weiteren Aspekt zutage und erweiterte den therapeutischen Blickwinkel. Gleichzeitig wird aber der Überblick erschwert und der Therapeut wird fast zwangsläufig auf jene zwei oder drei theoretische Schulen zurückgeworfen, in denen er sich am besten auskennt. Auch zeigt sich, dass neue Ansätze meist nur bestehende umformulieren oder die Gewichtung etwas anders setzen.

Einer dieser neuen Ansätze ist die so genannte Plananalyse, im vorliegenden Fall repräsentiert von Franz Caspar, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Bern/Schweiz. Sein neuestes Buch „Beziehungen und Probleme verstehen. Eine Einführung in die psychotherapeutische Plananalyse“ (3. vollständig überarbeitete Auflage, Verlag Hans Huber, Bern) geht auf die Erstauflage aus dem Jahr 1989 zurück.

Bei den zahllosen neuen Versuchen eines Zugangs zum Menschen, die oftmals dogmatisch vorgetragen werden, bis dann schnell ihre begrenzte Reichweite offenbar wird, sind zwei Trends auszumachen: Der eine besteht darin, eine Art Ganzheitlichkeit anzusteuern, das heißt Gedanken, Intentionen, Emotionen, Handlungen, Kognitionen und Erlebnisverarbeitungsweisen, bewusste Motive, das Unbewusste sowie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen zu berücksichtigen. Der zweite Trend ist eng mit dem Namen Klaus Grawe (gestorben 2005) verbunden, der aus der Analyse verschiedenster Therapierichtungen ein knappes Dutzend gleicher Wirkmechanismen destillieren konnte. Wenn Therapien wirken, dann aus den gleichen Gründen.

Auch bei der Plananalyse wird rasch deutlich, dass dieser Ansatz nur mit Wasser kocht. Sie versucht, aus den Beobachtungen in der Therapie die impliziten Patienten-Pläne zu erschließen. Auf der Basis dessen, was ein Therapeut sieht und hört, werden Schlüsse in dem Sinne angestellt, dass ein Patient sich verhalte, „als ob“ er versuche, bestimmte Ziele zu erreichen. Diesen Ansatz, die Teleologie, hat der Individualpsychologe Alfred Adler vor 90 Jahren erfunden, wobei er sich auf die „Philosophie des Als-ob“ von Hans Vaihinger bezog. Es ist Caspar zugute zu halten, dass er Adlers Urheberschaft nicht verschweigt.

Ausgangsthese Caspars ist, dass der Patient nach einem inneren Schema (oder einem Drehbuch) im Leben vorgeht, wobei ihm dies nicht bewusst zu sein braucht. Die Plananalyse will dieses Schema oder Drehbuch erkennen, beschreiben, bewusst machen und nötigenfalls verändern. Wenn ein Therapeut wirksam intervenieren will, müsse er die komplizierten Kräfte verstehen, welche die Probleme im Leben des individuellen Patienten hervorbringen.

Hauptzweck dieses Buches ist es, eine konkrete Anleitung zum Durchführen von Plananalysen als Basis für die Therapiedurchführung zu geben. Die Plananalyse möchte – neben allen theoretischen Vorannahmen, die sie mit anderen Schulen teilt, beispielsweise der Schema-Theorie – den Therapeuten praktisch anleiten und ihm zeigen, wie er die Erkenntnisse aus der Analyse „an den Mann“ bringen kann. Die Plananalyse hat zudem den Vorteil, empirisch validiert zu sein, was einige Therapieschulen nicht vorweisen können.

Im ersten Kapitel wird der Stellenwert von Fallkonzeptionen für die Therapieplanung erläutert. Im zweiten Kapitel wird in die Entstehung und theoretischen Grundannahmen des Plananalyse-Konzeptes eingeführt. Im dritten Kapitel ist dargestellt, wie Fallkonzeptionen aufgebaut werden können; zur Illustration folgt eine Beispiels-Fallkonzeption. Im vierten Kapitel folgen dann detaillierte Angaben zum technischen Durchführen von Analysen, ein Kapitel, das insbesondere für den Praktiker wertvolle Hinweise enthält. Im fünften Teil wird die Verbindung von Plänen zu anderen Teilen menschlichen Verhaltens und Erlebens ausführlich thematisiert und insbesondere eine Verbindung zu Grawes Schema-Ansatz hergestellt. Im sechsten Kapitel folgt eine kurze Darstellung von Forschungsanwendungen der Plananalyse. Stichworte am Rand und ein Personen- ebenso wie ein Sachregister am Schluss erleichtern die Orientierung ungemein.

Das alles erinnert stark an Adlers „Lebensplan“, den er seinen Patienten von vornherein unterstellte. Schon bei Adler stieß der Begriff Plan auf Vorbehalte; es ist nicht anzunehmen, dass ein Patient einen Plan im Sinne einer rationalen Entscheidung in sich trägt, obwohl auch das möglich ist. Caspar macht zu Recht darauf aufmerksam, dass ein Plan nicht notwendigerweise bewusst und rational sein muss, aber dass die Annahme eines Planes als eine nützliche erste Annäherung an den Patienten herangezogen werden kann. Die Fallkonzeption liefert freilich nur einen Teil der Grundlagen für die Entscheidung, was in der Therapie geschehen soll. Dessen ist sich Caspar wohl bewusst.

Die Plananalyse will einem also helfen, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Therapie auftretende Informationen zu ordnen. Sie bewegt sich dabei in dem realistischen Rahmen, nicht alles berücksichtigen, aber auch nicht allzu viel ignorieren zu wollen. Plananalytiker gehen davon aus, dass negative Gefühle wie Angst, Wut, Scham, Schuldgefühle, depressive und ähnliche Gefühle in der Regel dann entstehen, wenn wichtige Pläne eines Menschen bedroht oder blockiert werden. Zudem müssen Handlungsalternativen fehlen. Psychische Schwierigkeiten können als Bewältigungs- oder Vermeidungsstrategien angesehen werden, wobei es oftmals darauf ankommt, den „wunden Punkt“ zu schützen. Bei früh entstandenen wunden Punkten dürfte es sich fast immer um Bedrohung durch Verlust lebenswichtiger Bezugspersonen, Verlust der elterlichen Zuwendung und daraus abgeleiteten Gefühlen wie Angst, Peinlichkeit und Scham handeln. Beim erwachsenen Klienten können sich diese wunden Punkte und die dazugehörenden Vermeidungsstrategien von ihren ursprünglichen Entstehungsbedingungen gelöst haben, obwohl auch sie verhaltensbestimmend sind. Den Erfolg in Prüfungen zu vermeiden könnte bedeuten, zu vermeiden, erfolgreicher als jemand zu sein, den zu übertrumpfen tabu ist.

Psychische Störungen sind Nebenwirkungen von missglückten Versuchen, wichtige Bedürfnisse zu befriedigen (Caspar, S. 77 ff). Psychische Störungen können zweitens selber eine instrumentelle Funktion im Gesamtfunktionieren eines Menschen haben. Alfred Adler sah psychische Probleme hauptsächlich aus dieser zweiten Perspektive. Ein anderer Begriff dafür ist der sekundäre Krankheitsgewinn. Vermeidungspläne sind Pläne, welche verhindern, dass ein Mensch einfach und unkompliziert der Realisierung seiner wichtigsten Bedürfnisse nachgeht. Je mehr Vermeidungsziele vorhanden sind, desto schwieriger wird es, seine Bedürfnisse zu befriedigen.

Vermeidungsstrategien könnten sein: Schuldgefühle gegenüber Älteren vermeiden, die daraus entstehen können, dass man das Leben selber besser meistert; vermeiden, sich mit dem niederen Alltag und der eigenen Mittelmäßigkeit auseinandersetzen zu müssen; vermeiden, für die Konsequenzen eigenen Handelns einzustehen; vermeiden, die längerfristigen Konsequenzen seines Verhaltens zu beachten und dafür auch nicht die Verantwortung übernehmen zu müssen. Pläne könnten in etwa sein: Vermeide aufzufallen, halte deinen Körper fit, vermeide Enttäuschungen, vermeide Ablehnung, vermeide Verantwortung, vermeide Unsicherheit in sozialen Kontakten, funktioniere gut und unauffällig, vermeide eine Änderung deines Selbstkonzeptes.

Plananalyse berücksichtigt zu Recht die vielen verschiedenen Möglichkeiten und Verschleierungen, denen der Mensch fähig ist. Dadurch gewinnt sie eine Komplexität, die ihrem Vorhaben, Komplexität zu reduzieren, entgegensteht. Die grafisch dargestellten Plananalysen aus konkreten Einzeltherapien (beispielsweise S. 85 und 87) sind schlicht nicht begreifbar. Ein bis zwei Seiten Fallanalyse im Fließtext wären anschaulicher. Die prototypischen Strukturen in dem Buch sind einfach nur verwirrend – oder allenfalls verstehbar, wenn man sich längere Zeit in sie hineinversenkt. Sie bedeuten also keine Verschlankung und keine Zeitersparnis. Auch hängt der Erfolg einer Therapie nur mittelbar von der Richtigkeit der Analyse ab. Immerhin: Die Therapeuten, die interaktionelle Verhaltenstherapie auf der Basis einer Plananalyse durchführen, werden in der Regel von Klienten als kompetenter, kooperativer und unproblematischer angesehen als Verhaltens- und Gesprächstherapeuten ohne Plananalyse (Caspar, S. 98).

Das dritte Kapitel beginnt mit einer ausführlichen Falldarstellung, aus der deutlicher als zuvor hervorgeht, was unter einem „Plan“ zu verstehen ist. Der männliche Beispiel-Patient sucht den Therapeuten wegen Antriebslosigkeit, diffusen Ängsten und hypochondrischer Selbstbeobachtung auf. Die Ängste werden als Resultat einer anhaltenden Blockierung expansiver Pläne des Klienten interpretiert. Diese wenig offen eingestandene Unzufriedenheit gefährdet das geschaffene sichere Mittelmaß. Ängste und Kraftlosigkeit dienen ihm dazu, ihm den Schwung zu rauben, die er bräuchte, um seine Situation in eine riskantere Richtung zu ändern. Die Therapie könnte darin bestehen, den Klienten dabei zu unterstützen, bewusster zu entscheiden, wie er eigentlich leben will, und weniger auf seine destruktiven Lösungsversuche angewiesen zu sein. Der Klient soll ermutigt werden, vermehrt das zu tun, was er für richtig hält, wobei er auf Enttäuschungen vorbereitet sein sollte. Sein berufliches Engagement könnte er eventuell etwas zurückfahren, um mehr Platz für andere Interessen zu schaffen. Seine Ehe sollte unter dem Aspekt der Entwicklungsfähigkeit betrachtet werden. Möglicherweise lässt sich seine Frau von neuen Ideen anstecken.

Plananalyse fügt der üblichen biographischen Anamnese drei zusätzliche Komponenten hinzu: die Eruierung der wichtigsten positiven Pläne des Klienten, der wichtigsten Vermeidungspläne des Klienten und des Selbstkonzepts des Klienten mit Angabe der wichtigsten Mittel, es für sich aufrechtzuerhalten und anderen zu vermitteln (Caspar, S. 109). Die wichtigsten Leitfragen bei der Entwicklung von Hypothesen zu diesen Punkten sind:

- Welche Gefühle und Eindrücke löst der Klient bei mir und anderen aus?

-Was will er bei mir und anderen erreichen, wozu will er mich und andere bringen, welche Verhaltenstendenzen auslösen?

-Welches Bild von sich versucht er mir und anderen zu vermitteln?

-Welches Bild von sich versucht er für sich selber aufrechtzuerhalten?

-Welches Verhalten von mir und anderen würde gar nicht in die Situation passen, würde schwer fallen, versucht er zu verhindern? (Caspar, S. 144)

Plananalysen sind geleitet von der Grundfrage „wozu verhält ein Mensch sich in einer bestimmten Weise?“ bzw. „welcher bewusste oder unbewusste Zweck könnte hinter einem bestimmten Aspekt des Verhaltens oder Erlebens eines Menschen stehen?“ (S. 16) Diese Handlungen bieten aus der Sicht des Patienten einen wirklichen oder vermeintlichen Überlebensvorteil.

Diese Merksätze klingen einfach, doch dahinter verbergen sich eine Fülle von theoretischen und praktischen Problemen, denen sich der Autor und seine Mitarbeiter durchaus bewusst sind und die in dem Buch ausführlich behandelt werden. Mit jeder Differenzierung geht eine Anwendungseinschränkung einher, was die Anwendungsbreite der Plananalyse einschränkt. Dieses Schicksal teilt sie mit allen anderen therapeutischen Verfahren.

Caspar und andere Plananalytiker waren zunächst begeistert von der Idee, zusammen mit den Klienten eine ganzheitliche Sicht ihrer selbst zu erarbeiten. Aus einem besseren Verständnis für sich selber heraus könnten sie ihre problematischen Aspekte besser akzeptieren, sowie Motivation für gezielte Veränderungen gewinnen. Es zeigte sich freilich, dass die Vermittlung des Plananalyse-Konzepts viel Zeit bindet und dass zudem Klienten durch ein ausgiebiges und explizites Sprechen über ihre hypothetischen Pläne vielfach überfordert werden. In der Tat dürfte nur ein gewisser Teil der Patienten die geistigen Fähigkeiten mitbringen, ein relativ komplexes Gebilde wie eine Plananalyse zu verstehen und nachzuvollziehen. Und es muss daran erinnert werden, dass die Plananalyse nur einen Teil einer Gesamttherapie ausmacht, also andere Therapieteile ebenfalls ihre Zeit beanspruchen. Anders gesagt, die Konzepte, die einem Psychologen in seinem Verständnis für einen Klienten am besten helfen, sind nicht unbedingt dieselben, die einem Klienten am besten helfen.

Zum Schluss wird die Analyse von Verhalten und Plänen in die übergeordnete Schemata-Theorie eingeordnet, mit der Frame-Theorie als Verknüpfung. Spätestens jetzt übersteigt die Komplexität die Fähigkeiten eines jeden Therapeuten, diese im konkreten Gespräch mit Klienten anzuwenden. Die Operationalisierung hat bei aller gegenteiligen Beteuerung etwas stark Mechanisches und Unsinnliches und wird zumindest den therapeutischen Anfänger vom Klienten entfernen. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, all diese Konstrukte im Kopf zu haben und gleichzeitig sich dem Patienten emphatisch zuzuwenden. Der Therapeut wird überfrachtet mit einer Theorie, die ihm helfen soll, das vorhandene Material zu ordnen, aber die Theorie zu ordnen ist selbst schon eine Aufgabe, die von der schlichten zwischenmenschlichen Kommunikation ablenkt. Ich habe deshalb meine Zweifel, ob die Plananalyse eine größere Verbreitung verdient. Sie scheint jedenfalls keinen größeren Gewinn zu bringen als die vielen anderen schematisierten Anleitungen für Therapeuten. Man kann zur Plananalyse greifen, muss es aber nicht.

Gerald Mackenthun, Berlin/Magdeburg, November 2007     

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