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Baur, Eva Gesine: Maria Callas. Eine Stimme der Leidenschaft. 507 Seiten, C.H. Beck, 2023


Im Mai 2023 waren wir wieder einmal bei einer Lesung, die unsere agile Buchhändlerin in Godesberg veranstaltet. Diesmal fand die Lesung im Rheinhotel Dreesen statt. Es war wie so oft gut besucht und diesmal vielleicht besonders gut, da die älteren Semester Maria Callas noch kannten, sei es aus dem Opernhaus oder aus den Klatschspalten der Illustrierten.
Die Lesung war insofern besonders, als Frau Baur nicht aus ihrem Buch las, sondern frei sprach, lebendig erzählte, wodurch ihre eigene Begeisterung für das Leben der Maria Callas deutlich wurde. Damit nicht genug hatte sie noch eine Mezzosopranistin und einen Pianisten dabei, so dass wir drei Arien zu hören bekamen, die auch Callas häufiger gesungen hatte. Darin schon ein Element der Biographie: Callas hätte später noch weiterhin singen können, wenn sie von Sopran zu Mezzosopran gewechselt wäre.

Diese etwas andere Art der Lesung haben wir dann gleichsam fortgesetzt, indem wir in unseren freien Zeiten immer wieder ein Kapitel aus der Biographie lasen und auch eine Arie hörten, die im Text angesprochen war. Wir kannten Callas natürlich, waren gleichwohl wieder sehr beeindruckt, dass selbst bei den alten, technisch nicht besonders guten Aufnahmen, die Art des Gesangs uns tief ergriff. So verbrachten wir einige Abende mit einem lebendig geschriebenen Text und dramatisch ergreifender Musik.

Hatte ich bis dato schon die eine oder andere Biographie über Maria Callas gelesen, so besticht die vorliegende durch die lebendige Erzählweise ebenso wie durch die gründliche Recherche. Viele Mythen um Maria Callas werden hier beerdigt. Etwa ihre angebliche Geldgier, die sich als Naivität dahingehend auflöst, als sie etwa ihrem Ehemann Meneghini blind vertraute, der Callas vermarktete und versuchte die höchsten Gagen auszuhandeln. Überhaupt war Maria Männern gegenüber erstaunlich blind und legte sich illusionär die Großartigkeit ihrer Beziehung zu ihnen zurecht. Callas hingegen war ungeheuer diszipliniert, wenn sie eine Oper einstudierte. Sie kannte meist die Partitur besser als so manch ein Dirigent, war bei nahezu allen Proben dabei, selbst wenn sie gerade nichts zu tun hatte.
Die diffamierende Klatschpresse, auch „Der Spiegel“ war da keine rühmliche Ausnahme, hat viel dazu beigetragen, ein Bild von einer selbstherrlichen und launischen Diva zu zeichnen; inklusive Paparazzi.

Frau Baur arbeitet das Bild einer gespaltenen Persönlichkeit heraus. Der innere Konflikt zwischen Maria, die liebeshungrig war und Callas, die überkompensatorisch, mit großem Ehrgeiz die Herzen des Publikums eroberte. Sie ergriff nicht nur durch ihre Interpretation, sondern auch durch ihren Bühnenauftritt. Betrat sie die Bühne, hatte sie mit ihrer Präsenz die Zuhörer:innen/Zuschauer:innen bereits in ihren Bann gezogen, noch ehe der erste Ton erklang. Die Spaltung ihrer Persönlichkeit, heute wird gerne von Ego-States gesprochen, beinhaltete die Tragödie in der Person. Sie erfasste ihre tragischen Bühnenfiguren gleichsam als Alterego und gab sozusagen alles, um ihren ungelösten inneren Konflikt herauszuschreien – dies in ungeheuer kunstvoller Sublimierung.

Maria Callas hatte die Tragödie im Blut, wie manche meinten. Allerdings kannte sie die klassischen griechischen Tragödien nicht, war im bürgerlichen Sinne sogar ungebildet. Daher mieden manche den persönlichen Kontakt, weil sie eine eher langweilige Gesprächspartnerin war. Jedoch durchdrang sie die tragischen Figuren, etwa Norma (Norma, Bellini) und Violetta (La Traviata, Verdi), um nur wenige zu nennen. Herausragend war etwa ihre Norma Interpretation, einer Priesterin, die für ihre Liebe das zölibatäre Leben aufgab und mit ihrem Liebsten zwei Kinder hatte – was sie allerdings geheim halten musste. Die Arie „Casta Diva“ ist mit das Ergreifendste, was mensch gesanglich zu hören und zu spüren bekommt. Die Priesterin führt darin ein Ritual der Druiden aus, will die Gallier beschwichtigen, die gegen die Römer in den Krieg ziehen wollen. Norma ist allerdings auch persönlich an Frieden interessiert, da sie ja einen Römer liebt. Der allerdings verliebt sich in eine Novizin, die dann Norma bittet, sie von ihrem Keuschheitsgelübde zu entbinden. Als Norma gewahr wird, dass das Liebesobjekt just ihr Pollione ist, gerät sie in mörderische Wut, der sie dann später selbst zum Opfer fällt als sie einen Scheiterhaufen für eine Priesterin errichten lässt, die das Keuschheitsgelübde gebrochen hat. Die Umstehenden erfahren dann, dass sie selbst es ist. Sie steigt gefasst auf den Scheiterhaufen und ihr Pollione, wieder zu Liebe gerührt, folgt ihr.

Sowohl Norma als auch Medea (Luigi Cherubini) sind Paraderollen der Callas. Wie lächerlich, wenn mensch angesichts der Tragödie Normas gewahr wird, dass ein Discounter sich diesen Namen gegeben hat.
Wie dem auch sei: Die tragischen Figuren der Oper, haben viel mit dem inneren Konflikt zwischen Maria und Callas gemeinsam. Maria Callas, im Grunde eine Beziehungstraumatisierte, versuchte die innere Zerrissenheit durch ihre künstlerische Leistung zu lösen. Daher ist es recht geschickt, wenn Frau Baur diese Spaltung ins Zentrum der Biographie rückt. Die von einer – vermutlich schwer gestörten Mutter – auch hätte in den Wahnsinn getrieben werden können, gab alles, um die Liebe des Publikums zu erlangen, lebte zu teilen auch die Eifersuchts- und von der Mutter geschürte Konkurrenzgefühle zur Schwester an Kolleginnen aus. Dass sie letztlich unbefriedigende Beziehungen zu Männer hatte, die sie ausnutzten oder sich mit ihr schmückten, geht auf den frühen Verlust des Vaters zurück, der in Amerika lebte und den Marias Mutter ihr mit Macht zu entfremden suchte. Von der Mutter als Selbstobjekt benutzt idealisierte sie den fernen Vater, und diese Idealisierung verhinderte, dass sie die Männer, mit denen sie zusammen war, realistisch sehen konnte.

Die sehr gut geschriebene Biographie hat vielleicht nur den Mangel, dass – obwohl Frau Baur Psychologie studiert hat – die tiefenpsychologischen und damit psychodynamischen Aspekte aus dem Text zwischen den Zeilen erschlossen werden können; obwohl sie auf der Hand liegen. Vermutlich ist dies eine Auswirkung der Schieflage der Psychologie, die einen unbefriedigenden Schwerpunkt in der Verhaltenstherapie hat. Frau Baur ist jedoch promovierte Kunsthistorikerin, hat zudem Musik- und Literaturwissenschaft sowie Gesang studiert. Daher ist sie in dem Feld sehr versiert und kompetent.

Nebenbei erfuhr ich noch nach der Lesung von ihr, dass sie selbst schon als Kind mit Maria Callas als Opernsängerin bekannt wurde, da ihr Großvater ein leidenschaftlicher Fan von Callas war.

Bernd Kuck      
Januar 2024

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