Simon, Fritz B./Weber, Gunthard: Vom Navigieren beim Driften. Carl Auer Verlag, 2004,
120 Seiten.
„Schön war die Zeit………. und bis heute aktuell geblieben sind die
vorliegenden „Zeitzeugen““. In den Jahren 1987 bis 1993 erschienen in der
Zeitschrift „ Familiendynamik“, 1975 gegründet und herausgegeben von Duss
von Werth und Helm Stierlin, die Kolumnen „Post aus der Werkstatt“. Wie
dieser Name andeutet, wird hier der Pioniercharakter der Systemischen Therapie
in den 80er Jahren lebendig. Dies galt übrigens für die damaligen Ausgaben der
Zeitschrift „Familientherapie“, wie auch für die der 1983 folgenden
„Zeitschrift für Systemisches Arbeiten“, damals herausgegeben von Jürgen
Hargens. Das Interesse und die weite Verbreitung systemischen Denkens und
Arbeitens in Deutschland begann.
Erinnerungen werden wach an die großen Heidelberger Kongresse der 80er
Jahre, organisiert durch die Heidelberger Schule um Helm Stierlin, an deren
Verbindung mit der Mailänder Schule und dem Palo Alto Ansatz, den
Weiterentwicklungen bis zum konstruktivistisch systemischen. Wem sind noch die
„Colportagen“ ein Begriff - ein ebenfalls launiges Druckerzeugnis aus dem
„Dunstkreis“ der ersten Stunden?
Nun denn, das vorliegende kleine Brevier „Vom Navigieren beim Driften“ ist
eine Neuauflage dieser sehr speziellen Zeitschriftenessays der Reihe „Post aus
der Werkstatt“. Sie wirkten damals neben den anderen Artikeln mit
wissenschaftlicher Note schon immer erfrischend humorvoll ohne an Aussage einzubüßen.
Hinten kursiv angehängt, las man sie beim Eintreffen der Zeitschrift oft als
erstes. Es waren mit Humor zusammengestellte Werkstattnotizen mit zentralen
Aussagen zu systemischer Herangehensweise. Die Wahl der Themen wurde subjektiv
zusammengestellt. Dennoch entsteht ein erstaunlich guter Überblick und
Eindruck. Die beiden Autoren, Vertreter der Heidelberger Schule und
Helm-Stierlin-Schüler, Gunther Weber und Fritz Simon sind dann in ihrer späteren
durchaus sehr unterschiedlichen Entwicklung - der eine mit Konzepten der
Systemaufstellungen, der andere als OE-Professor in Herdecke - um so bekannter
geworden. Sie bewiesen in den Kolumnen Spaß am systemischem und
konstruktivistischem Philosophieren und am praktischen Umsetzen und sie
verpackten Wissen in eine sehr unterhaltsame Lektüre. So wie die „Post“
auftauchte, so spontan verschwand sie auch wieder.
Jetzt aber sind diese Artikel der „Post aus der Werkstatt“ in dem
vorliegenden Büchlein von handlicher Größe neu aufgelegt und man wundert sich
fast, dass sie immer noch nach wie vor aktuell systemische Essenz in
Philosophie, Haltung und Praxis auf den Punkt bringen. Gregory Bateson würde
sagen, sie machen „! einen Unterschied“. Dies bei systemisch relevanten
Kriterien wie z.B. der Bedeutung des Kontextes der Therapie, der therapeutischen
Verantwortung und günstigen Haltung, der therapeutischen Klemmen, der Gefühle
in Systemen, der Entzündung des konstruktivistischen Möglichkeitssinns und
Erfindung bekömmlicherer Wirklichkeiten, dem Aufweichen, Verflüssigen und
Entdinglichen von Konstrukten, der Eindeutigkeit, der Uneindeutigkeit und der
Uneindeutigkeit der Eindeutigkeit, dem systemischen Umgang mit wiederkehrenden
Verhaltensweisen, die manche Rückfall nennen usw.. Neugierig geworden? Es gibt
keinen Anspruch auf Vollständigkeit und so auch kein Inhaltsverzeichnis. Die
Themen im Buch decken ein passables Spektrum ab und reichen vom therapeutischen
Setting bis zu systemisch-philosophischen Gedanken über die Veränderung von
Menschen.
Sie werden das Büchlein kaufen oder verschenken aus Nostalgie oder aber
weil sie eine unkomplizierte und doch authentische Kurzeinführung ins
Systemische wünschen, weil sie einen unterhaltsamen Zugang zu Systemischem
Herangehen bekommen möchten oder einfach, weil sie ihren Berufsalltag etwas würzen
wollen. Der Gründe es zu lesen gibt es bei diesem Büchlein wirklich viele.
Dipl.-Psych.
Anne M. Lang, Bonn
Nov. 2004
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